Karl-Erivan Haub: Zeigen Bilder den verschollenen Tengelmann-Milliardär in Moskau?

RTL-Recherchen legten vor knapp zwei Jahren nahe, dass der verschollene Tengelmann-Chef abgetaucht sein könnte. Nun sind Fotos aufgetaucht, die ihn womöglich in Moskau zeigen.
Ist der ehemalige Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub, genannt Charlie, gefangen im ewigen Eis – oder doch abgetaucht in Russland? Möglicherweise gibt es darauf nun eine Antwort: Das „Manager Magazin“ veröffentlichte zwei Fotos, die laut verschiedenen Gutachten mit hoher Wahrscheinlichkeit den seit 2018 vermissten Milliardär zeigen – und zwar in Moskau. Die Fotos liegen laut „Manager Magazin“ nun bei der Staatsanwaltschaft Köln, genau wie zwei biometrische Gutachten, welche die Gesichtsmerkmale auf den Fotos mit denen von Karl-Erivan Haub abgleichen sollten. Die Experten kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: In einem acht Seiten langen Gutachten kommt laut „Manager Magazin“ eine Professorin der kanadischen University of British Columbia zu dem Ergebnis, dass die Aufnahmen aus Moskau „mit einer Sicherheit von 99 Prozent“ den verschollenen Milliardär zeigen. Ein zweiter Gutachter sieht demnach eine Übereinstimmung bei 85 Prozent. Auf seiner Internetseite zeigt das „Manager Magazin“ Aufnahmen zweier Überwachungskameras, die Karl-Erivan Haub zeigen sollen
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Strafanzeige gegen heutigen Tengelmann-Chef Christian Haub
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln gehen auf eine Strafanzeige gegen Christian Haub, den jüngsten Bruder des Verschollenen, zurück. Der heutige Firmenlenker hatte im Mai 2021 im Rahmen einer Versicherung an Eides statt angegeben, ihm lägen „keine belastbaren Hinweise, geschweige denn Beweise“ dafür vor, dass „mein Bruder Charlie noch leben könnte“. Gegen diese Aussage ging die Verfasserin dieses Artikels 2023 mit einer Strafanzeige vor, da sie während ihrer bis dato zwei Jahre andauernden investigativen Recherchen Kenntnisse über die Existenz der Fotos erlangte und diese mit einem Anwalt einsehen konnte. Es handelt sich dabei um jene Fotos, die das „Manager Magazin“ nun veröffentlicht hat. Die Bilder wurden Monate vor der im Mai 2021 abgegebenen Versicherung an Eides statt bereits im Februar 2021 gemacht.
Die Ähnlichkeit der Bilder zum verschollenen Firmenchef ist frappierend. Die gezeigte Person ist sowohl frontal als auch von der Seite zu sehen. Sie trägt eine dicke blaue Winterjacke mit einer Kapuze und einem weißen Pelzkragen. Auf ihrem Kopf trägt sie eine blaue, enganliegende Wollmütze. Der Gesichtsausdruck wirkt konzentriert, die Augen sind leicht zusammengekniffen. Die Auflösung der Fotos ist gut, die Aufnahmen sind offenbar aus einer relativ geringen Distanz gemacht worden. „Es wurden verschiedene Kameras an Häusern und Türen zur Gewinnung der Fotos herangezogen“, so eine anonyme Quelle gegenüber RTL. „Die Bilder stammen von Überwachungskameras an verschiedenen Häusern in der Kolomenskaya Straße im südlichen Bezirk von Moskau“, erklärte bereits 2022 eine weitere Quelle, die nicht genannt werden möchte. „Sie wurden an zwei aufeinanderfolgenden Tagen aufgenommen, und zwar am 19. und 20. Februar 2021, jeweils am späten Nachmittag.“ Der Sicherheitschef von Tengelmann hatte im Auftrag von Christian Haub für diesen Zweck bereits im Jahr 2020 das israelisch-amerikanische Unternehmen Interfor International beauftragt, mithilfe von Referenzbildern das biometrische Überwachungssystem von Moskau nach dem vermissten Milliardär zu durchsuchen. Gegenüber RTL-Journalisten gab er dann Mitte Februar 2021 an, man sei „kurz davor“, den „finalen Beweis für ein Fortleben von Karl-Erivan Haub“ zu erhalten.
Versicherung an Eides statt Grundlage für späteren Milliarden-Deal
Die Fotos aus Moskau kamen jedoch offenbar im Februar 2021 zu einem für Christian Haub ungünstigen Zeitpunkt: Im Rahmen des schwelenden Erbschaftsstreits mit seiner Schwägerin Katrin Haub und ihren Kindern hatten Christian Haub und sein Anwalt Mark Binz eine Doppelstrategie verfolgt, um die milliardenschweren Firmenanteile seines verschollenen Bruders zu übernehmen. Dies hatte Mark Binz gegenüber der Verfasserin dieses Artikels bereits im Januar 2021 ausführlich erklärt: Sein Mandant Christian Haub müsse entweder gerichtsfest belegen, dass Karl-Erivan Haub noch lebt – oder er müsse Katrin Haub und die Kinder überzeugen, dass der Verschollene für tot erklärt wird. Gelänge dies nicht, könne Katrin Haub weiterhin die Rolle der „Abwesenheitspflegerin“ einnehmen und im Namen ihres verschollenen Ehemannes Einfluss auf die Unternehmensgeschicke nehmen.
Der Beweis eines Fortlebens von Karl-Erivan Haub hätte hingegen den Weg für eine juristische Lösung geebnet, indem Karl-Erivan Haub durch sein mutmaßlich absichtliches Abtauchen als Gesellschafter der Firma hätte ausgeschlossen werden können – und mit ihm seine ganze Familie: Wegen grober Pflichtverletzung hätte man ihm die Firmenanteile entziehen können. Ein juristischer Prozess, der sich möglicherweise über einen längeren Zeitraum hätte hinziehen können. Da Katrin Haub und ihre Kinder sich jedoch jahrelang weigerten, einer Todeserklärung für den vermissten Vater und Ehemann zuzustimmen, beauftragte Christian Haub den Tengelmann-eigenen Sicherheitschef sowie einen für ihn arbeitenden Krisenmanager, um den „finalen Beweis“ über das Fortleben seines Bruders zu beschaffen. Das interne Ermittler-Duo engagierte wiederum verschiedene international tätige Agenturen, darunter das bereits genannte israelisch-amerikanische Unternehmen Interfor International. Die Beschaffung der Fotos aus dem biometrischen Überwachungssystem in Moskau erfolgte dann jedoch nahezu zeitgleich mit der plötzlichen Bereitschaft von Katrin Haub und ihren Kindern, der Todeserklärung nun doch zuzustimmen – und damit Christian Haub den Weg zu ebnen, die milliardenschweren Anteile seines verschollenen Bruders am Tengelmann-Konzern zu übernehmen.
Ob Christian Haub die Fotos aus Moskau mit der Familie seines Bruders teilte, ist nicht bekannt. Als gesichert gilt jedoch: Das Wissen über die Existenz der Fotos hätte im Frühling 2021 das Todesermittlungsverfahren und somit eine schnelle Beilegung des Erbschaftsstreits in Gefahr gebracht. Die angestrebte Übernahme der milliardenschweren Firmenanteile wäre nicht möglich gewesen, solange eine juristische Unsicherheit über das Schicksal des Verschollenen besteht.
Journalisten von RTL Deutschland erlangten bereits im Mai 2021 Kenntnisse über die Existenz der Fotos aus Moskau. Fast zeitgleich zu der gestellten Presseanfrage folgte eine unaufgefordert abgegebene Versicherung an Eides statt seitens Christian Haub. Darin beteuerte er, keinerlei belastbare Kenntnisse über ein mögliches Fortleben seines Bruders zu haben. Nach einer Strafanzeige der Verfasserin dieses Artikels überprüft die Staatsanwaltschaft Köln, ob es sich hierbei um eine strafbare Falschaussage handelt.
Im Rahmen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln kam es im Sommer 2024 dann zu mindestens einer Hausdurchsuchung beim Sicherheitschef von Tengelmann und der Beschlagnahme verschiedener technischer Geräte. Zu diesem Zeitpunkt bestritt Christian Haubs Anwalt Mark Binz in einem Beitrag der „WAZ“ „vehement“, dass sein Mandant Fotos aus Moskau kenne. Zudem gab der Anwalt an, die Staatsanwaltschaft werde „für den relevanten Zeitraum gar nichts“ finden, da „auf ausdrücklichen Wunsch der Familie von Karl-Erivan Haub“ schon vor zwei Jahren „alle relevanten Daten gelöscht“ worden seien, „um endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen zu können“. Laut „Manager Magazin“ erinnert sich Christian Haub nun doch daran, die Fotos aus Moskau zu kennen. Er sei sich laut dem Bericht aber „absolut sicher, dass es sich dabei nicht um seinen Bruder handelt“. Es ist fraglich, ob die Staatsanwaltschaft Köln Haubs Salami-Scheibchen-Taktik viel Vertrauen schenkt.
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