Serie: Gefühlt gestern: Als „Bumm-Bumm“ und Steffi uns alle begeisterten

Plötzlich trugen alle Weiß und liebten Schweißbänder: In den 80ern sorgten ein rothaariger Bengel und eine kühle Blondine dafür, dass die Deutschen zu Tennis-Fans wurden. Auch unser Autor.
Früher war nicht alles besser. Manche Dinge waren sogar ziemlich schräg. Aber Nostalgie ist eine seltsame Sache: Mit genügend Abstand verursachen einem Phänomene, die man damals bitterernst nahm und anschließend lange völlig egal fand, plötzlich ein wohlig-warmes Gefühl im Bauch, wenn man an sie denkt. Diese Kolumne soll einen liebevollen, aber prüfenden Blick auf die Vergangenheit werfen. Was war so cool, dass man ihm mit Recht nachtrauern darf? Und was ist in den Untiefen der Geschichte eigentlich ganz gut aufgehoben?
Als 1985 ein 17-jähriger, rothaariger Bengel auf dem „heiligen Rasen“ von Wimbledon nach jedem noch so unerreichbar scheinenden Ball hechtete, war auch ich restlos begeistert. Ein paar Jahre lang spielte ich da schon in einem kleinen Vorortverein von Nürnberg Tennis, in tadellos weißen Klamotten, sehr kurzen Hosen und natürlich mit Schweißbändern an den Handgelenken.
Boris Becker und kurz darauf Steffi Graf machten aus dem weißen Sport für eine (vermeintliche) Elite, zu der ich nie gehörte, eine Freizeitbeschäftigung für jedermann und jedefrau. Hunderttausende Deutsche meldeten sich plötzlich in Vereinen an, die bald Aufnahmestopps verhängen mussten. Baufirmen pflügten Fußball-Grandplätze um und planierten sie mit rotem Ziegelstaub.
Tennis bescherte uns neue Helden
Einer der Boom-Beschleuniger damals: Es gab Tennis im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu sehen. Alle konnten dabei sein, wenn die deutschen Tennisgiganten auf ARD oder ZDF wieder einmal als Sieger vom Platz gingen. Dazu kam beim blassen Boris Becker auch noch ein Begleiter – eine schillernde Gestalt in Form seines Managers Ion Tiriac, eine halbseidene Mischung aus Autoverkäufer und Nachtclubbesitzer. Der Boulevard feierte.
Als Boris Becker 1985 mit 17 Jahre in Wimbledon gewann, war er der jüngste Sieger des ältesten Tennisturniers der Welt – und ist es bis heute
© IMAGO/Adam Stoltman/
Steffi Graf hingegen war der Inbegriff der deutschen Tugenden: Fleiß und Zurückhaltung. Erst ihre spätere Liebe zum US-Tennis-Ass André Agassi – damals noch mit der stylischen Vokuhila-Frisur – machte die spröde Tennis-Arbeiterin zu so etwas wie einem Glamourgirl.
Das Ende des Tennis-Booms
Anfang der 90er-Jahre war der große Tennis-Hype dann auch wieder vorbei, die Mitgliederzahlen in den Clubs sanken. Manche Tennisplätze verwaisten, es wuchs buchstäblich Gras über den roten Ziegelstaub. Irgendwie war es nicht mehr cool, in weißen Klamotten Bälle übers Netz zu schlagen. Tennis gab es im Fernsehen immer öfter nur noch auf Privatsendern. Die Zuschauer fanden andere, für sie interessantere Sportarten.
Auch ich spielte inzwischen kein Tennis mehr. Erst, als ich selbst schon Familie hatte, erinnerte ich mich an die schönen Zeiten auf dem Platz und traf mich mehr oder weniger regelmäßig mit Gleichgesinnten auf Mietplätzen in den damals noch reichlich vorhandenen Tennishallen.
Tennis: Ich bin ihm treu geblieben
Boris Becker war inzwischen unfreiwillig erneut zu einem Boulevard-Helden geworden, mit stets neuen Frauen an seiner Seite – und zuletzt auch noch einem Knastaufenthalt in England wegen Steuerhinterziehung. Steffi Graf war immer noch mit André Agassi zusammen und Mutter geworden. Wie wenig spannend! Neue deutsche Tennishelden wurden trotz der Erfolge von etwa Michael Stich und Angelique Kerber nicht geboren. Zu solide, zu wenig aufregend wirkte deren Leben.
Seit drei Jahren bin ich in Hamburg nun tatsächlich wieder Mitglied in einem Tennisverein. Ein Freund, der gerade erst mit dem Filzball-Spiel begonnen hatte, fragte mich, ob ich nicht mal mitkommen wollte. Jeden Sonntagabend spiele ich inzwischen mit meiner Alt-Herren-Gruppe Doppel. Die neuen deutschen Tennishelden heißen Sascha (Alexander) Zverev und Eva Lys. Gerne würde ich sie und andere Weltklassespieler:innen mal wieder im TV bewundern, aber jedes Tennisturnier scheint jetzt auf einem anderen Bezahl-Sender zu laufen. Schade eigentlich!