SPD-Chefin unter Druck: Schmutzeleien im Hintergrund: Kippt Saskia Esken?

In der SPD wird immer offener der Rückzug von Saskia Esken aus der Führung gefordert. Doch die SPD-Chefin denkt nicht daran, freiwillig zu gehen.

Parteien sind unbarmherzige Organisationen. Ist die Person an ihrer Spitze erfolgreich, so folgt sie ihr oft in blinder Treue. Ist sie es nicht mehr, so kann die Partei sie mit ebenso großem Eifer in den Abgrund stoßen. 

Diese Erfahrung muss derzeit die Parteivorsitzende Saskia Esken machen. Schon vor der Wahl gab es immer wieder Grummeln über ihre ungeschickten TV-Auftritte, über ihre als mangelhaft empfundenen Führungsqualitäten. Seit dem historisch schlechten Abschneiden der SPD wird die Kritik intern immer drastischer geäußert. 

Esken habe ihre Verdienste, aber jetzt sei es Zeit zu gehen, heißt es aus der Partei. Die Parteispitze habe im Wahlkampf nicht geliefert, müsse deshalb erneuert werden. Es könne auch nicht sein, dass sich beide Vorsitzenden in Ministerposten retteten, das sei ein fatales Signal, sagt jemand aus der Führung. 

Für Saskia Esken spitzt sich die Lage zu

Dabei ist es immer Esken, die dann genannt wird. Nicht ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil, der genauso für das Wahlergebnis verantwortlich ist. Der dämmte alle Forderungen nach seinem Rücktritt ein, indem er direkt nach der Wahl auch noch Rolf Mützenich den Fraktionsvorsitz abnahm. 

Warum ausgerechnet die Frau in der Doppelspitze gehen muss? „Es geht hier nicht um Mann oder Frau“, heißt es aus Vorstandskreisen. „Es geht um Leistung.“ Esken sieht das etwas anders. Über die Performance könne man immer streiten, sagte sie kürzlich im Interview mit dem stern. „Aber ich will klar sagen, dass die Art und Weise, wie Kritik an mir geäußert wird, stark von Rollenklischees geprägt ist.“

Ein sicheres Indiz, dass sich für Esken die Lage zuspitzt, sind die „Schmutzeleien“. So nennt man es in der Politik, wenn aus dem eigenen Laden Informationen durchgestochen werden, die der jeweiligen Führungsfigur schaden sollen. Der Begriff wurde 2007 geprägt, als bekannt wurde, dass der damalige CSU-Chef Horst Seehofer ein uneheliches Kind gezeugt hatte. 

Im Fall von Esken berichtete die „Bild“ am Freitag, die SPD-Chefin sei in einen Kurzurlaub gereist. Ausgerechnet während der Koalitionsverhandlungen gönne sich Esken „Parteifreunden zufolge“ eine Auszeit auf den Kanaren. Dies würde in der Fraktionsführung als „instinktlos“ empfunden. Der Unterton: Klingbeil mache die Arbeit, während sich Esken vergnüge, aber trotzdem auf einen Ministerposten schiele.

„Sie schwänzt nicht, sie verpasst nichts“

Aus dem Willy-Brandt-Haus heißt es: „Sie schwänzt nichts, sie verpasst nichts, sie ist telefonisch erreichbar.“ Esken habe sich den Kurzurlaub gegönnt, weil sie seit der Wahl noch keinen Tag freigehabt habe und nicht Teil der derzeit tagenden Arbeitsgruppen sei. Die sollen bis Montag ihre Ergebnisse abliefern, bevor dann die Hauptverhandler von Union und SPD konferieren, zu denen auch Esken gehört.

Esken habe auf ihrer privat gebuchten Reise unter anderem an mehrstündigen Schalten teilgenommen und keinen einzigen Termin verpasst, heißt es weiter aus der Parteizentrale. Hier sieht man in dem Bericht einen gezielten Versuch, Esken aus dem Rennen um einen Kabinettsposten zu schießen. 

Und Lars Klingbeil? Offiziell lässt der SPD-Chef nichts auf seine Co-Vorsitzende kommen. Allerdings erklärte er schon am Wahlabend in der Parteizentrale beim Auftritt der Spitze, es müsse jetzt einen „Generationenwechsel“ in der SPD geben. Esken ist 63. Klingbeil ist 47.

Klingbeil profitiert von der Kritik an Esken

Auch an ihm war nach der Wahl Kritik laut geworden. Klingbeil gilt als der Mann, der die erneute Kandidatur von Olaf Scholz nicht verhindert hat. Umso praktischer ist es für den SPD-Chef, wenn sich der Unmut jetzt an seiner Copilotin entlädt. Zumal auch die Unzufriedenen in der SPD wissen, dass ein kompletter Austausch der Führungsriege in Zeiten der Regierungsbildung der eigenen Partei schaden würde.

Der Generationenwechsel ist dabei eines der Argumente, das angeführt wird. Oder auch, dass Klingbeil seinen Wahlkreis in Rotenburg I – Heidekreis mit 42,1 Prozent der Erststimmen gewann und damit der erfolgreichste unter den SPD-Abgeordneten war. Während Esken in Calw mit 12,9 Prozent nicht nur weit abgeschlagen hinter dem CDU-Kandidaten, sondern auch hinter dem Konkurrenten von der AfD landete.

Unterstützer von Esken verweisen darauf, dass die gebürtige Stuttgarterin im Gegensatz zu Klingbeil noch von der SPD-Basis gewählt wurde und nicht „nur“ von einem Parteitag. Sie wittern in der Kritik auch einen Versuch, eine Frau zu diffamieren, die nicht ins immer noch sehr männlich dominierte Führungsbild der SPD passt. 

Ein Vorwurf, der nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Auch Ex-SPD-Chefin Andrea Nahles musste sich wegen ihres öffentlichen Auftretens einst viel Häme aus der Partei gefallen lassen. Und auch sie machte die Erfahrung, dass es selbst in der offiziell stets auf Gleichberechtigung pochenden SPD Männer-Macht-Zirkel gibt, die ihr verschlossen blieben.

Bis Ende Juni ist alles entschieden

Wie geht es weiter mit Esken? Ende Juni hält die SPD ihren Parteitag in Berlin ab. Dann wird auch ein neuer Parteivorsitz gewählt. Eine Kampfkandidatur gegen Esken gilt als unwahrscheinlich. So etwas müsse vorab geregelt werden, heißt es aus der Partei. Nur: Dazu bräuchte man eine Alternative. 

Die Frauen, die bislang für den Vorsitz gehandelt wurden, haben bereits abgewunken: Die saarländische MInisterpräsidentin Anke Rehlinger, die sich viele wünschen, hat wenig Lust auf die Doppelbelastung. Ihre Amtskollegin aus Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, muss im nächsten Jahr eine Landtagswahl bestreiten und gilt als unabkömmlich. Bliebe Bärbel Bas, die nach dem Ausscheiden aus dem Amt der Bundestagspräsidentin wieder Kapazitäten freihätte. 

Esken machte mit Wadenbruch weiter

Esken selbst scheint nicht bereit, kampflos zu weichen. Erst recht nicht, wenn sie dafür nicht einmal ein Ministeramt bekäme. „Ich bin seit vielen Jahren in der Politik und eine starke, an der Sache orientierte Frau“, sagte Esken dazu im stern-Interview. „Selbstverständlich traue ich mir ein Ministeramt zu.“ Für sie sei klar, dass Frauen auf den Regierungsposten „stark vertreten“ sein müssten. Das ist ein weiterer wunder Punkt der SPD: Bei ihren Frauen käme es nicht so gut an, wenn nach der Kabinettsbildung und Neuaufstellung der Fraktion wieder einmal nur Männer das Bild prägten.

Nicht zuletzt ist Esken, die sich im Leben viel hat erkämpfen müssen, zäh. Im Frühjahr 2022 brach sie sich nach einem Sturz die Wade. Weil der Bruch zunächst nicht diagnostiziert wurde, machte sie einfach weiter, nahm tagelang Parteitermine wahr. Wenn es drauf ankommt, kann sie stehen. Wie ein Mann.