Asylpolitik: Munition für Merz‘ Migrationswende

Ein heftiger Auftritt des Bamf-Chefs rückt die Asylfrage wieder ins Zentrum der schwarz-roten Koalitionsgespräche. Noch-Innenministerin Nancy Faeser hält dagegen.

Huch, das kommt einem doch bekannt vor? Immer dann, wenn Robert Habeck die kalten Zahlen greifbarer – und die eigenen Erfolge anschaulicher – machen wollte, hat der grüne Wirtschaftsminister von diesem Stilmittel Gebrauch gemacht. Nun greift auch Nancy Faeser effektvoll unter das Pult und holt dreimal eine Papptafel mit Balkendiagrammen hervor. 

Die Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland? Gestiegen. Die Asylgesuche? Gesunken. Zurückweisungen an den Grenzen? Gibt’s reichlich, seit Oktober 2023 etwa 50.000. Als Faeser die aus ihrer Sicht prächtigen Balken mit einem Lächeln in Kameras hält, wiederholt sie noch mal zur Sicherheit: „Also seit Oktober 2023: 50.000 Zurückweisungen.“ 

Nancy Faeser (SPD), geschäftsführende Bundesministerin für Inneres und Heimat, stellt auf einer Pressekonferenz die Bilanz zur Migrationspolitik der Bundesregierung vor
© Kay Nietfeld

Migrationswende? Längst angelaufen, so will es die Innenministerin, die nur noch geschäftsführend im Amt ist, wohl verstanden wissen. Dabei gerät Nancy Faesers Bilanz in der Migrationspolitik, die sie am Dienstagvormittag in Berlin vorstellt, zum möglicherweise größten Streit- und Reizthema in den schwarz-roten Koalitionsgesprächen.

Friedrich Merz muss liefern

Friedrich Merz, der voraussichtlich nächste Bundeskanzler von der CDU, muss die Migrationswende liefern, die er im Wahlkampf in Aussicht gestellt hat, so sehen seine Leute das. Wenn er sich in Sachen Schulden schon so geschmeidig zeigt.

Dabei erhält Merz nun ausgerechnet von einem Mann Schützenhilfe, der Innenministerin Faeser unterstellt ist: Hans-Eckard Sommer, Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Mit einem Knall ist seine Rede vom Montagnachmittag in die schwarz-roten Verhandlungen geplatzt. 

Sommer forderte auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung ein „gänzlich neues Schutzsystem“; eine faktische Abschaffung des bisherigen individuellen Anspruchs auf Asyl. Zwar als Privatperson, wie der Bamf-Präsident beteuert. Doch seine Aussagen sind nichts anderes als eine Abrechnung mit der deutschen und europäischen Asylpolitik – also auch mit Faesers Leitlinien. Wahrscheinlich-Kanzler Friedrich Merz dürfte die unverhoffte Unterstützung für die Koalitionsgespräche neu munitionieren.     

Will auch die SPD neue Akzente setzen?

„Unser Handeln zeigt Wirkung“, sagt Faeser am Dienstag und nimmt für sich in Anspruch, in Sachen irregulärer Migration konsequenter als die Vorgängerregierung vorgegangen zu sein. Den Vorstoß ihres Behördenleiters Sommers – der 2018 von Innenminister Horst Seehofer eingesetzt wurde und selbst CSU-Mitglied ist – straft die Sozialdemokratin als kurzsichtigen und unüberlegten Vorschlag ab. 

Weder Migration noch Kriegsflüchtlinge würde man mit einer Art Kontingentlösung (wie Sommer vorgeschlagen hatte) wegbekommen, argumentiert Faeser. „Deswegen macht es ja auch kein anderes Land in Europa.“ Zumal das Asylrecht für die SPD nicht zur Disposition stehe. Zahlreiche Maßnahmen habe man bereits getroffen, auch weitere seien nötig, sagt Faeser. Aber nicht „einfache Vorschläge, die nicht weiterhelfen“. 

In anderen Worten: Faeser ist kein großer Fan. 

Thorsten Frei, der Fraktionsmanager der Union und einer der Chef-Verhandler von Schwarz-Rot, hingegen schon. Er zeigte sich im „Frühstart“ von RTL/ntv offen für Sommers Vorstoß – schließlich hatte er das Individualrecht auf Asyl schon im Sommer 2023 öffentlich infrage gestellt

Es sei aber gar nicht so entscheidend, welchen Weg man gehe, sagte Frei. Entscheidend sei das Ziel. „Und das Ziel muss lauten: ordnen, steuern und begrenzen.“ In den letzten Jahren seien immer zwischen 240.000 und 350.000 Asylanträge in Deutschland gestellt worden, rechnete Frei vor. Mit der übrigen humanitären Migration, etwa den Geflüchteten aus der Ukraine, sei das für die Integration zu viel. 

Auch in der SPD deutet sich eine Akzentverschiebung an. Vielen ist aufgefallen, dass Innenministerin Faeser weder Teil der sogenannten „19er Runde“ von Union und SPD ist, also der Chef-Verhandlungsrunde, noch in der vorausgeschalteten SPD-Arbeitsgruppe für „Innen, Recht, Migration und Integration“. Stattdessen hat Faeser über Bürokratieabbau und Staatsmodernisierung verhandelt – als stellvertretende AG-Leiterin. 

„Das ist kein nationales Thema“, sagt Nancy Faeser

Doch Faeser will darin keinen Wink ihrer Partei erkennen, betont, dass man „sehr rigide“ Maßnahmen getroffen habe und sie nicht glaube, dass ihre Partei noch schärfere Regularien vorschweben. 

Tatsächlich hat die Ampel-Regierung viele weitreichende Maßnahmen beschlossen, unter Faeser auch eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) aufgegleist, um der irregulären Migration schon an den Außengrenzen effektiver zu begegnen – im Schulterschluss mit den EU-Partnern. Ein Punkt, der Faeser besonders wichtig ist. 

Sie pocht darauf, dass die Formulierung im schwarz-roten Sondierungspapier, wonach man Zurückweisungen „in Abstimmung“ mit Deutschlands Nachbarländern durchführe, auch als gemeinsames Vorgehen gemeint ist. „Das ist kein nationales Thema, das ist ein internationales Thema“, bekräftigt Faeser. In der Union wird die Passage eher als In-Kenntnis-Setzen verstanden. Wer wird sich durchsetzen?

Thorsten Frei, der Unionsfraktionsmanager, sagte am Morgen dazu: Deutschland werde sich immer an Recht und Gesetz halten, auf ein gutes Einvernehmen mit den Nachbarn achten. Von diesen abhängig machen könne man sich allerdings auch nicht.