Extremismus: Politische Straftaten auf Zehn-Jahres-Hoch

Die Zahl der politischen Straftaten ist auf fast 11.000 gestiegen. „Hass-Prediger haben Online-Propaganda auf Tiktok, Instagram oder Telegram perfektioniert“, warnt Innenminister Reul.
Die Zahl der politisch motivierten Straftaten ist in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr um 42 Prozent auf fast 11.000 gestiegen. Das geht aus dem neuen, mehrere hundert Seiten starken Verfassungsschutzbericht des Landes hervor, den NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) vorgestellt hat. Dabei handele es sich mindestens um ein Zehn-Jahres-Hoch. Auch die Zahl der antisemitischen Straftaten habe mit 695 ein Zehn-Jahres-Hoch erreicht.
Stärkster Anstieg im Bereich Rechtsextremismus
„Aufwühlende Zeiten mit vielen Krisen stärken die Tendenz, sich zu radikalisieren“, sagte Reul. Die meisten Straftaten und der stärkste Anstieg wurden im Bereich Rechtsextremismus erfasst. In 78 Prozent der Fälle handelte es um Propagandadelikte und Volksverhetzung. Aber auch die Anzahl der rechts motivierten Gewaltdelikte stieg mit 154 Straftaten gegenüber dem Vorjahr (116) um 33 Prozent an.
In jüngster Zeit sei zudem zu beobachten, dass Teile der Querdenker-Szene und Rechtsextremisten zusammenrücken. Innerhalb der AfD werde der Einfluss des völkisch-nationalistischen Zusammenschlusses größer, sagte NRW-Verfassungsschutzchef Jürgen Kayser.
Der gewaltbereite Islamismus bleibe die größte Gefahr für Leib und Leben und der Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie, sagte Reul. Beim Anschlag mit drei Toten und acht Verletzten habe der Islamismus im vergangenen August in Solingen sein „hässliches Gesicht gezeigt“.
Tatmittel Internet
Eine zentrale Rolle spiele das Internet. „Über die sozialen Medien können Influencer rund um die Uhr ungefiltert menschenfeindliche Botschaften senden. KI-generierte Videos und Fotos wecken Interesse, landen minütlich in den Timelines und erzielen große Reichweite. So kann antidemokratisches und menschenfeindliches Gift langsam in die Köpfe einsickern. Wer das besonders gut kann, sind die Rechtsextremisten“, sagte Reul.
Extremistische Inhalte, die nicht strafbar seien, würden von den Plattformen nicht gelöscht. „Der Einfluss dieser Plattformen ist gigantisch und die staatlichen Möglichkeiten sind überschaubar“, so Reul, der zugleich ankündigte, dass sich Präventionsprogramme wie „Wegweiser“ ins Netz verlagern müssten. Dies sei auch inzwischen beschlossen worden.
Russische Operationen
Im Bereich der ausländischen Akteure trete vor allem Russland „zunehmend robuster auf“. Reul präsentierte Fälschungen namhafter Nachrichtenseiten mit Falschmeldungen, mit denen Stimmung gegen stärkere Verteidigungsanstrengungen gemacht wird. „Mit falschen Meldungen kann man das Bewusstsein verändern“, sagte Reul.
Die Doppelgänger-Kampagne mit gefälschten Nachrichtenseiten stamme von russischen Firmen und die Spur führe klar in Richtung Russland, sagte Verfassungsschutzchef Kayser. Ebenso seien Sabotageattacken mit Bauschaum auf Autos vor der Bundestagswahl auf russische Einfluss-Operationen zurückzuführen.
Linksextremismus
Etwas mehr als jede zehnte politisch motivierte Straftat war Linksextremisten zuzuordnen. Viele davon seien Widerstandsdelikte gewesen, aber auch 86 Gewaltdelikte. Das linksextreme Personenpotenzial wuchs auf knapp über 3.000.
Im Bereich des Islamismus lag das Personenpotenzial bei etwa 4.000 Personen. „Hass-Prediger haben Online-Propaganda auf Tiktok, Instagram oder Telegram perfektioniert. Der Islamismus ist weiter auf dem Vormarsch“, konstatierte Reul.
Der Verfassungsschutz stellte zudem mehr Versuche im Bereich Spionage und Cyberangriffe fest. „Dabei geht es darum, auszuspähen, Informationen zu beschaffen und unsere Demokratie zu destabilisieren.“
Opposition fordert Maßnahmen
Die Landtagsopposition nannte die Entwicklungen schockierend. Die Verteidigung der Verfassung müsse sich ins Netz verlagern, forderte die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Christina Kampmann. Seit Jahren fordere die SPD einen digitalen Ausbau der Präventionsprogramme. Seit Jahren passiere auf diesem Feld aber so gut wie nichts.
Dasselbe gelte für die Vorschläge, die großen Plattform-Betreiber stärker in die Pflicht zu nehmen, ihre Privilegien zu beschneiden und sie für die Verbreitung strafbarer Inhalte entsprechend zur Verantwortung zu ziehen.
„Der Bericht ist ein Weckruf – doch die Landesregierung bleibt im Diagnosestadium stecken. Minister Reul beschreibt Symptome, aber liefert keine Therapie“, kritisierte der innenpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Marc Lürbke. Der Rechtsstaat müsse ein funktionierendes digitales Immunsystem entwickeln. Doch Reul bekämpfe den digitalen Extremismus immer noch mit analogen Rezepten.