Regierungswechsel: Chemiebranche schöpft Hoffnung aus Koalitionsvertrag

Wegen der starken Pharmaindustrie gilt Baden-Württemberg unter den Bundesländern als Apotheke Deutschlands. Auch die Chemiesparte ist breit aufgestellt. Den Koalitionsvertrag hat man genau studiert.

Die in Baden-Württemberg stark vertretene und zuletzt kriselnde Chemie- und Pharmaindustrie setzt große Hoffnungen auf die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben von Union und SPD. „Wir sehen grundsätzlich große Chancen, dass ein Comeback des Wirtschaftsstandorts Deutschlands realisiert werden könnte“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie Baden-Württemberg, André Olveira-Lenz. Allerdings schwebe über allem das Damoklesschwert der Finanzierungsfrage.

So sei etwa zu begrüßen, dass im Koalitionsvertrag der Industriestrompreis als Entlastung genannt wird – allerdings nur in Klammern. Auch die Senkung der Netzentgelte und Stromsteuer müsse zügig umgesetzt werden, damit die energieintensive Chemiebranche konkurrenzfähig bleibe. Da 90 Prozent der Industriegüter chemische Vorprodukte hätten, sei dies für die gesamte Wirtschaft relevant, machte Olveira-Lenz deutlich.

Im Koalitionsvertrag heißt es unter anderem: „Wir werden Deutschland zum weltweit innovativsten Chemie-, Pharma- und Biotechnologiestandort machen. Gemeinsam mit Ländern, Unternehmen und Gewerkschaften werden wir eine Chemieagenda 2045 erarbeiten.“ Dass der Fokus auf der Branche liegt, sei gut, sagte Olveira-Lenz. Es dürfe aber nicht bei wohlklingenden Worten bleiben.

Arbeitgeber begrüßen politischen Kurskorrekturen

CDU, CSU und SPD zeigen mit dem Koalitionsvertrag aus Sicht von Björn Sucher, Hauptgeschäftsführer Arbeitgeberverband Chemie Baden-Württemberg, „dass sie den Grundsatz „Starke Wirtschaft, starkes Land“ verstanden haben“. Ein positives Signal sei schon die schnelle Einigung an sich und dass die Koalitionäre zu politischen Kurskorrekturen bereit seien. 

Inhaltlich begrüßte Sucher vor allem den geplanten Bürokratieabbau etwa beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Es sei wichtig, der Wirtschaft mehr Vertrauen als die Vorgängerregierung entgegenzubringen – wenngleich er sich das in größerem Ausmaß wünsche. „Weniger Kontrolle, mehr Vertrauen.“

Jedoch gebe es auch Ansätze, bei denen eher mehr Bürokratie drohe, sagte Sucher und nannte als Beispiel die Umsetzung der EU-Transparenzrichtlinie, mit der gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer verwirklicht werden soll. „Da sollte Zurückhaltung an den Tag gelegt werden.“

Europäische Geschlossenheit wichtig

Olveira-Lenz forderte, dass konkrete Schlüsseltechnologien festgelegt werden sollten, die besonders im Fokus stehen. Neben der Material- und Biotechnologie könnten dies auch Bereiche sein, die nicht direkt die Chemie betreffen, wie Quantencomputing und Künstliche Intelligenz (KI).

Ferner betonte er, europäische Geschlossenheit sei wichtig. Die Branche und Warenströme seien international vernetzt. „Wir brauchen ein handlungsfähiges Europa.“ Deutschland dürfe sich nicht wie zuletzt häufig geschehen in der EU bei Abstimmungen nicht enthalten, sondern müsse seine Position einbringen.

In den Verbänden mit Sitz in Baden-Baden sind mehr als 506 Unternehmen mit etwa 113.500 Beschäftigten organisiert. Sie erzielten den Angaben nach im vergangenen Jahr einen Gesamtumsatz von 46 Milliarden Euro. Die Exportquote liegt bei 59 Prozent.