Exklusiv: Behörden lassen Insolvenzverwalter im Wirecard-Fall auflaufen

Seit der Wirecard-Insolvenz bemüht sich Verwalter Michael Jaffé vergeblich um Einsicht in Unterlagen von Staatsanwaltschaft und Aufsichtsbehörde – doch die Behörden mauern.

Im Insolvenzverfahren bei Wirecard beklagt Insolvenzverwalter Michael Jaffé eine mangelnde Kooperation der Behörden. Das geht aus Jaffés aktuellstem Sachstandsbericht für das zuständige Insolvenzgericht hervor, der Capital vorliegt. Darin kritisiert Jaffé, mehrere angefragte Behörden sperrten sich dagegen, relevante Akten für seine Arbeit zu teilen. Diese seien „durchweg nicht bereit“ gewesen, die bei ihnen vorhandenen Unterlagen „zu benennen oder herauszugeben“, schreibt Jaffé in seinem Bericht. Konkret geht es dabei um die Staatsanwaltschaft München I und die für Wirecard zuständige Strafkammer des Landgerichts München I sowie die Wirtschaftsprüferaufsicht APAS.

Die Blockadehaltung gegenüber dem Insolvenzverwalter, die Jaffé in seinem Bericht feststellt, ist angesichts der zweifelhaften Rollen der Behörden im Wirecard-Skandal bemerkenswert. Die Münchner Staatsanwaltschaft war trotz vieler Hinweise auf dubiose Vorgänge erst kurz vor der Insolvenz im Sommer 2020 ernsthaft gegen Konzernverantwortliche vorgegangen. 

Auch die APAS war nach der Wirecard-Pleite in die Kritik geraten – etwa weil ihr damaliger Chef noch kurz vor der Insolvenz mit Wirecard-Aktien spekuliert hatte. Die mangelnde Kooperation der Behörden dürfte die Aufgabe des Insolvenzverwalters erschweren, den Schaden für die Gläubiger zu begrenzen – etwa durch Haftungsansprüche gegen den Abschlussprüfer EY.

Wie Jaffé in seinem Bericht ausführt, habe die Staatsanwaltschaft seinem Team „bislang nur in minimalem Umfang Akteneinsicht gewährt“. Zwar habe man umgehend nach der Erhebung der Anklage im zentralen Strafverfahren gegen Ex-Konzernchef Markus Braun und andere frühere Topmanager im Frühjahr 2022 den entsprechenden Antrag bei der zuständigen Strafkammer des Landgerichts gestellt. Allerdings habe man bisher lediglich die Anklageschrift sowie „eine Übersicht über die Anlagenbände“ einsehen können. Über den weitergehenden Antrag sei noch nicht entschieden worden. Im Fall späterer Anklagen gegen weitere ehemalige Wirecard-Vorstände habe es bislang noch nicht einmal Einsicht in die Anklageschrift gegeben, heißt es in Jaffés Sachstandbericht.

Prüferaufsicht weist IFG-Anträge ab

Die Wirtschaftsprüferaufsicht wiederum wies laut dem Bericht Bitten um Akteneinsicht rundheraus ab. Demnach stellte Jaffé bei der APAS zwei Anträge nach dem Informationsfreiheitsgesetz – ein Recht, das jedem Bürger zusteht. Davon versprach er sich offenbar Informationen für seine Schadensersatzklage gegen EY. 

Den ersten Antrag wies die Behörde, die seinerzeit ein Aufsichtsverfahren gegen EY führte, 2021 ab – laut dem Bericht auch nach einem Widerspruch der Münchner Staatsanwaltschaft gegen die Herausgabe der Akten. Diese warnte davor, dass eine Übermittlung der APAS-Unterlagen ihre laufenden Ermittlungen gegen Ex-Wirecard-Manager und EY-Mitarbeiter beeinträchtigen könne. Der Argumentation der Ermittler schloss sich später das Berliner Verwaltungsgericht an, vor dem Jaffé gegen die Entscheidung der APAS klagte. Einen weiteren Antrag von Jaffé lehnte die APAS dann im November 2024 ab. Auch in diesem Fall verwies sie unter anderem darauf, dass die Herausgabe von Unterlagen aus ihrem Verfahren gegen EY die strafrechtlichen Ermittlungen und Gerichtsverfahren gefährden könnte.

Umgekehrt haben die Behörden selbst von der Insolvenzverwaltung umfangreiche Akten angefordert – offenbar teils mit hohem Druck. Das Landgericht München I, vor dem seit Ende 2022 der Braun-Prozess verhandelt wird, habe zahlreiche Aufforderungen gestellt, „bestimmte Unterlagen zur Abwendung entsprechender strafprozessualer Maßnahmen umgehend herauszugeben“, schreibt Jaffé. Teilweise seien „Unterlagen auch per Gerichtsbeschluss beschlagnahmt und deren Herausgabe verlangt“ worden.

Wirecard: Forderungen über 20 Mrd. Euro angemeldet

Auf Anfrage von Capital wollte sich Jaffé nicht zu seinen Feststellungen äußern. Die Staatsanwaltschaft München I verwies darauf, dass die Entscheidung über die Anträge auf Akteneinsicht beim Landgericht liege. Die Kooperation mit dem Insolvenzverwalter „war und ist hervorragend“, teilte sie mit. Die APAS ließ Fragen unter Verweis auf Verschwiegenheitspflichten inhaltlich unbeantwortet.

Laut Jaffés Sachstandsbericht haben Gläubiger mit Stand Ende Dezember Forderungen in einer Gesamthöhe von 20,5 Mrd. Euro angemeldet. Darunter befinden sich auch fast 52.000 Aktionäre, die Forderungen von rund 8,5 Mrd. Euro geltend machen. Deren Ansprüche hat der Verwalter allerdings bestritten. Über die Frage, ob auch Wirecard-Aktionäre Ansprüche auf Quotenzahlungen haben, muss nun der Bundesgerichtshof entscheiden.