Iberische Halbinsel: „Wie Steinzeit-Reise“: Stromausfall sorgt für Verunsicherung

Nach dem historischen Stromausfall gibt es in Spanien und Portugal viele gute Nachrichten. Doch es bleiben viele offene Fragen – und auch eine große Verunsicherung unter den Bürgern.
Am Tag nach dem historischen Stromausfall ist die entscheidende Frage offen: Was hat den beispiellosen Blackout in Spanien und Portugal ausgelöst? In den Städten und Dörfern der Iberischen Halbinsel bleibt eine Verunsicherung. Einen Hackerangriff schlossen die Behörden vorerst aus. Sie ermitteln. Derweil läuft das Leben in beiden Ländern wieder weitgehend normal. Die Energieversorgung ist nahezu überall wieder hergestellt. Und auch befürchtete Plünderungen gab es nach einer ersten Bilanz nicht.
„Jetzt atmen wir alle wieder auf, aber die große Frage lautet: Kann das erneut passieren? Und was ist, wenn so etwas in Zukunft länger anhält?“, hieß es in einer morgendlichen Talkrunde des staatlichen spanischen TV-Senders RTVE. Eine Ärztin aus Madrid sprach im Radiosender Cadena Ser von einer beängstigenden Reise „in die Steinzeit“.
Am Dienstag – rund 24 Stunden nach dem Blackout – hatten fast alle Menschen in Spanien und Portugal wieder Strom. Das Internet, die Telefone und auch die Ampeln funktionierten nach dem Totalausfall wieder weitgehend problemlos. U-Bahnen und Züge fuhren nahezu überall wieder, doch etwa in Katalonien gab es noch Probleme mit den Nahverkehrszügen, die täglich von Zehntausenden für die Fahrt zur Arbeit und Schule genutzt werden.
Der spanische Netzbetreiber Red Eléctrica gab bekannt, dass inzwischen die gesamte Energieversorgung auf dem vom Ausfall betroffenen Festland wieder hergestellt worden sei. In Portugal hätten alle 6,5 Millionen Haushalte wieder Strom, teilte die Regierung in Lissabon mit. Die Wasserversorgung funktioniere landesweit, und das gesamte Verkehrssystem sei nach dem Stromausfall wieder weitgehend in Betrieb.
Suche nach den genauen Ursachen geht weiter
Nach dem beispiellosen Stromausfall, der am Montag gegen 12.30 Uhr MESZ weite Teile der Iberischen Halbinsel lahmlegte, herrscht aber weiterhin Unklarheit über die genauen Ursachen. Zur Beruhigung vieler schloss Red Eléctrica inzwischen aber nach gemeinsamen Untersuchungen mit dem Cyber-Sicherheitsinstitut Incibe und dem Nachrichtendienst CNI die Möglichkeit einer Cyberattacke aus. Der Nationale Staatsgerichtshof in Madrid leitete trotzdem Justizermittlungen dazu ein.
Die spanische Regierung sprach von einem historischen Ereignis. Millionen Menschen waren stundenlang von der Außenwelt abgeschnitten – ohne Strom, ohne Netz, ohne Verbindungen. „So etwas haben wir noch nie erlebt“, sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez in einer TV-Ansprache. Er lobte die Bürger für das mustergültige Verhalten. Obwohl es nachts vielerorts stockdunkel war, blieben nennenswerte Zwischenfälle aus. Es sei zum Beispiel nicht zu den befürchteten Überfällen und Plünderungen gekommen, berichteten RTVE und andere Medien in einer ersten Bilanz.
Krisensitzungen in Madrid und Lissabon
Was genau den Kollaps auslöste, ist noch Gegenstand von Untersuchungen. Red Eléctrica machte die abrupte Unterbrechung der Stromverbindung mit Frankreich für den Zusammenbruch verantwortlich. Warum es zu dieser Entkopplung kam, blieb allerdings auch am Dienstag vorerst offen. Die Regierungen in Madrid und Lissabon beriefen am Tag danach Krisensitzungen ein. In Spanien wurde das Treffen von König Felipe VI. geleitet.
Anschließend sagte Sánchez: „Das darf nie wieder passieren!“ Der Regierungschef kündigte an, er werde die privaten Versorger zur Rechenschaft ziehen und eine Verbesserung des Versorgungssystems einleiten.
Auch Deutschland soll Konsequenzen ziehen, fordert Faeser
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) forderte in Deutschland mehr Schutz für kritische Infrastruktur. „Die Stromausfälle in Spanien und Portugal hatten ein Ausmaß, wie wir es in Europa wahrscheinlich noch nicht erlebt haben“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
„Es war wie in der Sauna“
Am Montag war das öffentliche Leben in Spanien und Portugal bis in die Nacht hinein nahezu zum Erliegen gekommen: Menschen steckten in Aufzügen, U-Bahnen und Zügen fest – wie der junge Filmemacher Polo Menarquez, der auf dem Weg von Madrid nach Barcelona mit circa 500 Fahrgästen zehn Stunden im stehenden Hochgeschwindigkeitszug ausharren musste, bevor die Feuerwehr alle Passagiere sicher ins Freie führte. „Ich war verblüfft, wie ruhig alle geblieben sind. Am Ende waren aber die stickige Luft und die Hitze unerträglich. Es war wie in der Sauna“, sagte er dem Sender RTVE.
Auch ein bekannter Deutscher blieb nicht verschont
Der massive Blackout, bei dem laut Behörden plötzlich für fünf Sekunden 15 Gigawatt Stromerzeugung (60 Prozent des Konsums) aus dem Netz verschwanden, traf nach offiziellen Angaben nur das Festland, nicht aber zum Beispiel die Kanaren und Balearen. Nach regionalen Medienberichten hatten viele Menschen auf Mallorca zwar kurzzeitig Handyprobleme, das sei aber wohl eine Folge der Schwierigkeiten der spanischen Anbieter gewesen, hieß es.
Der Sport blieb nicht verschont: Beim Masters-Turnier in Madrid wurde der Spielbetrieb unterbrochen – betroffen war unter anderem das Match des deutschen Tennis-Profis Alexander Zverev. Am Dienstag wurde das Turnier fortgesetzt. Das Chaos ist vorbei, die Verunsicherung bleibt aber. „Die Funkstille mit Unterrichtsausfall war wunderbar, aber jetzt, wo der Groschen fällt, wird mir Angst und Bange“, sagte die 23-jährige Architekturstudentin Sofía der Deutschen Presse-Agentur.