M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier: Wie finden Sie meine Kolumne?

Alles im Leben soll man bewerten: die Taxifahrt, den Arztbesuch, das Restaurant. Meist aber regiert die Rachsucht, stellt unser Kolumnist Micky Beisenherz fest.

„Machsufünfsterne, ja? Schabdirauchfünfsternegegeben!“ Dieser, nun ja, Bitte des Uber-Fahrers bin ich gerne nachgekommen. Wobei mir nicht klar war, wie es zu dieser Bewertungssymmetrie kommen konnte. Ich meine, klar: Dass man einem Fahrer fünf Sterne gibt, wenn die Fahrt gut war, das leuchtet ein. Aber wie verdiene ich mir fünf Sterne als Gast? Der Mann am Steuer kann sich verfahren, unfreundlich sein, ja, einem sogar Drogen anbieten oder unaufmerksam sein, weil er auf dem Beifahrersitz Fondue zubereitet – aber der Fahrgast? Außer sitzen und Klappe halten mach ich doch nix! Wofür kriege ich eine Bewertung?

„Hat mich vom Krebs geheilt 5/5. Gerne wieder!“

Womöglich ein Zeitgeistphänomen. Kommen wir doch nirgendwo mehr umhin, eine Bewertung zu hinterlassen. Taxi, Ebay, Google. Meine Frau checkt vor dem Aufsuchen des Doktors eine App, in der Arztpraxen beurteilt werden. Nahezu ebenbürtig stehen sich da Urteile gegenüber wie „Rezeptionistin unfreundlich. 2 Sterne“ und „Hat mich vom Krebs geheilt 5/5. Gerne wieder!“, als wäre so etwas auch nur ansatzweise zu vergleichen. Ob die ersten Ärzte schon bewusst positive Fehldiagnosen stellen, um nicht den Zorn ernüchterter Patienten im Forum lesen zu müssen? Der Überbringer schlechter Nachrichten darf nur selten auf Milde hoffen. Soll sich doch der nächste Doc die zwei von fünf Sternen für das ermittelte Karzinom holen!

Einmal unzulänglich gebumst, schon bleibt die Weiterempfehlung bei Tinder aus – ich nehme zumindest an, dass es so läuft. Was bei Ebay anfänglich drolligen Charme hatte („netter Kontakt, gute Ware, gerne wieder“), treibt nunmehr kotzfruchtartige Blüten. Tragikomischer Höhepunkt dürfte sein, dass es sogar die Möglichkeit gibt, das Konzentrationslager Auschwitz zu bewerten. Bei Tripadvisor. So vergibt ein gewisser Nikos H für den Besuch dort lediglich einen von fünf Punkten: „Das schlechteste Erlebnis aller Zeiten“. Es ist irre.

Das Bedürfnis, alles zu ranken und zu bewerten, wäre für sich genommen seltsam genug, käme nicht noch das gesteigerte Verlangen dazu, sich zu revanchieren. Es geht oft nicht mehr darum, ein objektives Urteil zu fällen, um anderen eine Hilfestellung zu geben, nein: Hier wird rein subjektiv abgeurteilt. Es tut sich ein Spalt auf, Gerechtigkeit zu erlangen. Auf die denkbar kleinste Art und Weise zahlt der pikierte deutsche Michel es allen heim! Sollen die mal sehen, was sie davon haben! Zu wenig Brot, eine gestresste Pflegerin, ein unsicherer Azubi – patsch! In der Kommentarspalte wird der beleidigte Kunde zum Superman. Da werden Bücher bei Amazon vor Erscheinen zu Tausenden negativ rezensiert, weil die Autorin sich vor Jahren mal bei Lanz unstatthaft zu einem Thema geäußert hat.

Micky Beisenherz konstatiert Herrschaft der Rachsucht

Diese Verfasstheit modert hinauf bis in die höchsten Sphären. „Regiert“ im Weißen Haus nicht jemand, der außer Revanche kein wahrnehmbares politisches Ziel hat? Payback als Staatsform. Alle, die ihm in den vergangenen zwölf Jahren krumm gekommen sind, kriegen es jetzt zurück. Und wenn man dabei die Ukraine unter den Bus wirft. Die Herrschaft der Rachsucht.

Einer der Gründerväter der von uns gern genutzten sozialen Netzwerke, Mark Zuckerberg, gründete als Student die Onlineplattform Facesmash, auf der man Kommilitoninnen, gegen deren Willen, nach Fuckability bewerten konnte. Ein schönes Werkzeug für den Loner Zuckerberg, es den Frauen heimzuzahlen.

Besser ist unsere Welt seitdem nicht geworden. Ich gebe ihr maximal eine Fünf von zehn.