Arbeitsbedingungen: Studie: Kripo in NRW ist belastet, aber nicht überlastet

Dass die Kripo angesichts mannigfaltiger Herausforderungen in einer Welle von Arbeit ertrinkt, scheint festzustehen. Eine wissenschaftliche Untersuchung kommt zu einem anderen Ergebnis.
Die nordrhein-westfälische Kriminalpolizei hat laut einer Studie für das Düsseldorfer Innenministerium zwar viel Arbeit, ist aber – trotz zahlreicher gegenteiliger Klagen – nicht notorisch überlastet. „Die Leute bei der Kripo schultern viel, aber niemand wird von der Arbeit erdrückt“, fasste NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) die Ergebnisse der rund 350 Seiten starken Forschungsarbeit zusammen. Die Behauptung, dass Kriminalkommissariate „überall und permanent total überlastet“ seien, könne man so nicht stehen lassen.
Das Innenministerium hatte der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) im Mai 2022 einen Forschungsauftrag erteilt zum Thema „Kriminalitätsaufkommen und Stresserleben in der Kriminalpolizei Nordrhein-Westfalen“. Dafür seien zahlreiche qualitative und quantitative Interviews unter Kripo-Beschäftigten verschiedener Bereiche und Studierenden – teils sogar Vollbefragungen – sowie weitere Analysen durchgeführt worden, berichtete Kriminalistik-Professor Stefan Kersting.
Das durchschnittliche Stressempfinden von Mitarbeitenden der Kriminalpolizei in NRW ist laut der Studie ausgeprägter als in der Allgemeinbevölkerung, jedoch niedriger als in ausgewählten anderen Berufsgruppen. „Insgesamt ist von einer leicht überdurchschnittlichen Arbeitsbelastung in der Kriminalpolizei NRW auszugehen“, lautet das Fazit der Studie. Dabei gebe es allerdings deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Kreispolizeibehörden und Aufgabenbereichen.
Lieber Streife als realer Krimi-Tatort
Eine identifizierte Baustelle sei ein Imageproblem der Kriminalpolizei, die viel mehr Nachwuchs benötige. Er hätte gedacht, dass die meisten Polizeianwärter mit Blick auf die vielen attraktiven Filme zur Kripo wollten, sagte Reul. Das Gegenteil sei der Fall: „Die meisten wollen in die Schutzpolizei.“
Eine Ursache sei, dass dort in der Realität viel alleine abgearbeitet werden müsse, so Kersting. „Damit kann man junge Menschen nicht mehr begeistern.“ Gefragt sei heutzutage vor allem Teamarbeit. Senior-Experten sollten nun helfen, junge Leute in den Praktika stärker für die Arbeit bei der Kripo zu begeistern, sagte Reul.
Schlechtes Kripo-Image vor allem innerhalb der Polizei
In der Studie hatten über 80 Prozent der befragten Studierenden gesagt, sie gingen von einem positiven gesellschaftlichen Bild von der Kriminalpolizei aus, berichtete Kersting. Innerhalb der Polizei schätzten sie den Anteil der Wertschätzenden hingegen nur auf knapp 35 Prozent ein.
Tatsächlich hätten 63 Prozent der Gesellschaft ein positives Bild von der Kripo und innerhalb der Polizei hätten das nur 18 Prozent, sagte Reul. Angesichts der Pensionierungswelle der „Boomer-Generation“ sei es jetzt wichtig, die Kripo für junge Leute attraktiver zu machen.
Kersting wies auf eine Reihe gravierender Herausforderungen hin, die auf die Kripo zukomme. Dort werde viel Arbeit geleistet, die nach außen kaum sichtbar sei und auch in der Kriminalitätsstatistik so gut wie gar nicht abgebildet werde.
Wenn die Boomer sterben, bekommt die Kripo viel Arbeit
Ein Beispiel seien Todesermittlungsverfahren, die Kriminalbeamte massenhaft zu führen hätten, wenn der Arzt keinen natürlichen Tod bescheinigen könne. Zwischen 2018 und 2022 seien das allein in NRW etwa 175.000 Fälle gewesen. „Die Boomer-Generation scheidet jetzt aus der Polizei aus, aber die Boomer-Generation wird mittelfristig auch biologisch ihr Ende finden“, stellte der Kriminologe fest. „Und das wird dann dazu führen, dass die Anzahl der Todesentwicklungsverfahren deutlich steigen wird.“
Die Kriminalität habe sich im Laufe der Jahre verändert, bilanzierte Reul. So sei etwa die Zahl der Diebstahlsdelikte zwischen 2018 und 2022 um 41 Prozent zurückgegangen. Dafür gebe es etwa bei Kindesmissbrauchskomplexen oder Terror-Straftaten sehr anspruchsvolle Fälle, die psychisch stärker herausforderten.
Der unbeliebte Papierkrieg
Zugleich nehme die Dichte der Vorgänge zu: „Viele kleine Verfahren, viele Berichte, viele Fristen, viel Papierkram.“ Das nerve und frustriere viele Beamte, die stattdessen lieber ermitteln wollten, zitierte Reul aus der Studie. Zudem habe es zwischen 2018 und 2022 über 100 Gesetzesänderungen gegeben, die sich auf die Arbeit auswirkten.
Insofern sei der Beruf zwar fordernd, aber die Motivation und Identifikation laut Befragung dennoch groß. „Das ist für mich die tollste Botschaft“, unterstrich der Innenminister.
Anlass für die Forschungsarbeit war seiner Darstellung zufolge 2020 der alarmierende Bericht eines Oberstaatsanwalts im Rechtsausschuss des Landtags über gravierende polizeiliche Personal-Engpässe. Das habe er landesweit überprüfen lassen wollen, erklärte Reul. Der Bericht soll nun im Landtag erörtert werden.