Interview: Freddy-Quinn-Experte: „Die Lügen verfolgten ihn und wurden größer“

Freddy Quinn räumt im Alter von 93 Jahren mit Lebenslügen auf. Das verdient Respekt, findet der Journalist Elmar Kraushaar – auch wenn er weitere Ungereimtheiten sieht.
Herr Kraushaar, Freddy Quinn liefert im Alter von 93 noch einmal große Schlagzeilen. Mit seiner finalen Biografie „Wie es wirklich war“ gesteht er, maßgebliche Aspekte seiner Lebenserzählung frei erfunden zu haben. Wie überrascht sind Sie über diesen Schritt?
Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, aber empfinde Respekt, dass er sich durchgerungen hat. Wenngleich auch dieses Buch, das er mit einem „Bild“-Reporter verfasst hat, erneut darauf ausgelegt ist, reißerische Schlagzeilen zu produzieren. Für mich ist es eine Bestätigung, in allen Punkten, die ich angezweifelt habe, richtig gelegen zu haben. Freddy Quinn hat kürzlich selbst gesagt: Kraushaar hatte recht.
Sie haben vor elf Jahren die kritische Biografie „Ein unwahrscheinliches Leben“ veröffentlicht, in der Sie all die Ungereimtheiten und offensichtlichen Lügen aufgearbeitet haben. Wie hat Quinn damals reagiert?
Nicht gut, er drohte mit gerichtlichen Schritten, die es aber nie gab. Dabei war es ursprünglich seine Idee gewesen, gemeinsam eine Biografie zu veröffentlichen. Schon in den ersten Gesprächen war ihm klar geworden, dass ich sehr journalistisch und kritisch vorgehen würde und es nicht in seine Richtung gehen würde. Daraufhin wurde er sehr ausfallend, wie das oft der Fall war, beendete die Zusammenarbeit. Ich musste einen neuen Verlag suchen und setzte das Projekt allein um. Mein Problem war, dass ich bei einigen Punkten keinen endgültigen Beweis vorlegen konnte. Alle Mutmaßungen und Indizien waren richtig, wie sich jetzt herausstellt.
„Freddy Quinn – Die Autobiografie“ von Freddy Quinn und Daniel Böcking, Hannibal Verlag, 264 Seiten, 25 Euro, erhältlich u. a. bei Anbietern wie Thalia oder Amazon
© Edition Koch
Warum also jetzt?
Daniel Böcking, der „Bild“-Journalist und Co-Autor, hat ein großes Vertrauensverhältnis zu ihm aufgebaut, beide duzen einander. Vielleicht musste es in ihm reifen. Ich habe später erfahren, dass er meine damaligen Lesungen genau verfolgt hat, seine jetzige Frau war wohl im Publikum, als ich das Buch in Hamburg vorgestellt habe.
Vergangenen Sonntag konnte man in einer ZDF-Doku noch einmal Talkshow-Auftritte sehen, in denen er sich bereits in Ungereimtheiten über sein Leben verstrickt hatte. Warum war das so lange niemandem aufgefallen?
Es ist durchaus aufgefallen, Freddy Quinn verhedderte sich praktisch permanent in seinen Lügen. Eigentlich ist die Geschichte ungemein tragisch, sein früherer Manager Lotar Olias hatte sich diese Story vom Seemann und singenden Weltenbummler ausgedacht. Alles war deutlich an die Handlung das Muscials „Heimweh nach St. Pauli“ angelehnt, das Olias 1956 geschrieben hatte. Der Stoff wurde später sogar mit Freddy Quinn in der Hauptrolle verfilmt. Er war ein junger, ehrgeiziger Mann, der Karriere machen wollte und leider gedacht hatte, dass das so laufen muss. Die Lügen verfolgten ihn über die Jahre und wurden immer größer und größer.
Besonders grotesk wirkt es, als er die frei erfundene Geschichte von seinem US-amerikanischen Vater erzählt, bei dem er zeitweise aufgewachsen sein wollte. Quinn fuhr 1983 sogar mit einem TV-Team nach West Virginia, dabei war er in Wirklichkeit zum ersten Mal in seinem Leben dort, den Vater kannte er nicht. Wie muss man gestrickt sein, um das zu tun?
Mich hat stets verwundert, dass er nicht einmal rot wurde, wenn er diese Lügen schilderte. Die Geschichte war einfach zu schön, die Menschen wollten sie glauben. Die Deutschen der Nachkriegsjahre liebten Seemannserzählungen, Suche nach Heimat. Und er hatte Erfolg damit, er kam da nicht mehr raus. Ich habe den Produzenten jener Doku mit meinen Recherchen konfrontiert, aber auch der wollte nichts davon wissen. Ich finde es mutig, dass er an seinem Lebensabend endlich Schluss damit macht. Soweit ich weiß, wollte er den Buchtitel selbst drastischer formulieren. Da sollte der Begriff Lüge stehen, nicht „Wie es wirklich war“. Er will offensichtlich zum Schluss Ordnung in ein Leben bringen – endlich.
Ist das Geständnis vollständig?
Nein, was seine Sexualität anbelangt, hält er sich weiterhin bedeckt.
Er thematisiert seine angebliche homosexuelle Neigung nur ganz kurz – als Gerücht. War es möglicherweise nie mehr?
Er umschifft das Thema geschickt. Wenn er schwul gewesen wäre, hätte er es zugegeben, steht da. Man muss ihn als Kind seiner Zeit begreifen, Homosexualität stand unter Strafe. Jeder schwule Mann musste damit rechnen, für seine Sexualität in den Knast zu wandern. Jeder konkrete Verdacht hätte seine Karriere zerstört.
Was macht Sie so sicher?
Was man sagen kann: Er hat kein schwules Leben geführt. Bei mir haben sich Männer gemeldet, die mit ihm Sex gehabt haben wollen. Ein langjähriger Freund Freddy Quinns, der mit ihm in einer Wohnung zusammengelebt hatte, sagte mir: Freddy hatte gar keine Sexualität, seine Angst war viel zu groß. Wenn das stimmt, tut er mir leid. Eine so existenzielle Sache wie die eigene Sexualität zu unterdrücken, muss fürchterlich sein.
Nun gibt es eine neue Erzählung darüber, wer sein wirklicher Vater gewesen sein könnte. Im Wien der 60er gab es einen tragischen Vorfall, ein Junge aus der Nachbarschaft hatte seine Familie ausgelöscht. Angeblich war der ermordete Vater auch sein leiblicher. Wie realistisch ist das?
Tja, es ist abenteuerlich, aber nicht neu. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass Freddy Quinn inzwischen diese seit Langem kursierende Variante selbst glaubt. Wie wir in den vergangenen Tagen gesehen haben, taugt die Mordtheorie zur Knallergeschichte für den Boulevard, um das Buch zu promoten. Es gibt Romane über diesen Familienmord, sogar Elfriede Jelinek hat darüber geschrieben. Den Beweis bleibt Freddy Quinn jedoch schuldig, dabei wäre es so einfach, ein DNA-Test würde ausreichen, um endgültig zu klären, wer sein leiblicher Vater gewesen ist. Dieser Sohn lebt ja noch. Mein Eindruck ist, dass er es gar nicht wissen will.
Auch die Geschichte von Freddy Quinns Mutter liest sich plötzlich anders als bisher. Edith Nidl war eine enge Mitarbeiterin des Obernazis von Wien Josef Bürckel. In der neuen Biografie wird plötzlich behauptet, sie habe versucht, die jüdische Ehefrau des Volksschauspielers Hans Moser vor der Deportation zu retten. Kann das wahr sein?
Diese Art von Reinwaschungsversuch gibt es millionenfach, hinterher wollen alle Widerstandskämpfer gewesen sein. Die Frau saß im Vorzimmer jenes Mannes, der Statthalter Hitlers in Wien und für tausende Deportationen verantwortlich war. Dorthin gerät man nicht zufällig. Diese Geschichte ist völliger Unsinn und wird mit nichts belegt. Die Geschichte der Edith Nidl ist insgesamt unschlüssig, sie soll vor dem Krieg Journalistin des „Hamburger Fremdenblattes“ gewesen sein. Ich habe mir die Mühe gemacht, das Archiv dieser Tageszeitung zu durchforsten, ihr Name taucht nicht einmal als Autorin auf. Gemeinsam mit ihrem Mann, einem Baron Petz, hat sie kleine Heftchen für Tierfreunde herausgegeben, darin hat sie die Leserbriefspalte betreut. Das war’s. Ihre Journalistenkarriere ist reine Legende.
Warum gelingt es Freddy Quinn auch jetzt nicht, gänzlich reinen Tisch zu machen?
Es ist eine ganze Menge, was er jetzt richtigstellt. Ich will es ihm nicht vorwerfen, dass er an mancher strittigen Geschichte festhält. Er ist jetzt 93, da darf man manche Legende für wahr halten. Seine Intention, die groben Lügen abzuräumen, verdient Lob und Respekt.
Elmar Kraushaar hat Freddy Quinn mehrfach interviewt und 2011 die kritische Biografie „Ein unwahrscheinliches Leben“ (Atrium Verlag) veröffentlicht
© privat
Haben Sie als Freddy-Quinn-Experte in diesem Buch auch Neues erfahren?
Nein, in keiner Zeile. Was man dem Buch zugutehalten muss, ist seine Authentizität. Wer Freddy Quinn kennt, kann ihn förmlich reden hören. Neu ist nur, dass er die lange bekannten Ungereimtheiten, Schwindeleien und Lügen selbst einräumt. Insofern rundet es das bekannte Bild dieses einfachen, bescheidenen und oft unsicheren Mannes ab, dem eine große Karriere gelungen ist. Leider jedoch auf Basis von Legenden und Lügen, für die er, glaube ich, einen hohen Preis zahlen musste.