Iris Berben: „Mich gibt es nur einmal“

„Es ist Bewegung spürbar, aber ein Aufatmen ist noch nicht in Sicht“, meint Iris Berben über Gleichberechtigung in der Filmwelt.
„Es ist ein Prozess, und wir sind mittendrin. Doch Entwarnung kann man noch nicht geben“ – so die Einschätzung von Iris Berben (74) zum Thema Gleichberechtigung in der Filmwelt, für das sie sich seit Jahren einsetzt. Bei den Filmfestspielen von Cannes trägt der von L’Oréal Paris ins Leben gerufene Lights On Women Worth Award nun erneut dazu bei, weibliche Filmemacherinnen ins Rampenlicht zu rücken. Verleihungen wie diese „setzen in diesem Zusammenhang kraftvolle Zeichen“, so Berben, die in Cannes selbst vor Ort ist. Die Schauspielerin verrät im Interview zudem, welche weiblichen Filmschaffenden sie aktuell inspirieren und wie sie über einen möglichen Ruhestand denkt.
Liebe Frau Berben, der Lights On Women Worth Award rückt weibliche Filmemacherinnen ins Rampenlicht. Wie wichtig ist diese gezielte Sichtbarkeit in einer nach wie vor männerdominierten Branche?
Iris Berben: Die Dringlichkeit zeigt sich schon allein darin, dass wir weibliche Filmemacherinnen immer noch explizit ins Rampenlicht rücken müssen. Auch die Fragestellung an sich schließt darauf, wie weit wir von einer gelebten Selbstverständlichkeit entfernt sind. Und solange diese nicht automatisch gegeben ist, müssen wir sie einfordern und Frauen sichtbar machen – klar, laut und beharrlich. Stück für Stück kämpfen wir uns hierbei nach vorne. Verleihungen wie der Lights On Women Worth Award setzen in diesem Zusammenhang kraftvolle Zeichen. So ehrt der von L’Oréal Paris ins Leben gerufene Award nicht nur einzelne Talente und kürt eine Gewinnerin, sondern stellt zugleich fundamentale Anliegen in den Mittelpunkt: Gleichberechtigung, Sichtbarkeit und die Anerkennung weiblicher Kreativität. Solange das Verhältnis der Geschlechter nicht das Gleichgewicht gefunden hat, welches wir uns als Frauen und aber auch als Gesellschaft wünschen, tragen Initiativen wie dieser Award große Bedeutsamkeit.
Cannes ist glamourös, aber auch politisch. Wie sehr kann ein Festival wie dieses auf Ungleichheiten aufmerksam machen?
Berben: Cannes hat eine enorme Strahlkraft. Bei Festivals wie diesem ist der Fokus weltweit auf die Filme gerichtet. Es ist eine Plattform – eine Art globales Schaufenster, ein Ort der Aufmerksamkeit – die nicht zu unterschätzen ist. Kunst und Kultur bilden einen Katalysator für gesellschaftliche Veränderung. Sie verbinden Menschen, schaffen Räume für Dialoge und ermöglichen es, den Blick auf die Welt zu weiten. Cannes bietet genau diese Möglichkeit: Durch die Filme, die hier gezeigt werden, können wichtige Themen sichtbar gemacht und Geschichten erzählt werden, die unter die Oberfläche gehen – dorthin, wo es wehtut. Der äußere Glanz mag wie ein schöner Schein wirken – fast wie ein Trick, der das Interesse der Welt bündelt. Doch unter dieser Oberfläche geht es bei vielen Filmen um existenzielle Fragen, Bedürfnisse und politische Dimensionen. Sie verbinden, sie provozieren, sie zeigen Missstände, die sonst vielleicht eher im Verborgenen bleiben. Sie bilden die Möglichkeit, Signale zu senden und gesehen zu werden.
Sie setzen sich seit Jahren für Gleichberechtigung in der Filmwelt ein. Spüren Sie, dass sich wirklich etwas bewegt?
Berben: Ja, es ist Bewegung spürbar – national sowie international – aber ein Aufatmen ist noch nicht in Sicht. Die Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind, lassen sich nur langsam verändern. Ich bin jedoch zuversichtlich, wenn ich die junge Generation sehe, die mit anderen Werten und Mustern aufwächst. Sie fordert Raum und erzählt ihre Geschichten selbstbewusst. Es ist ein Prozess, und wir sind mittendrin. Doch Entwarnung kann man noch nicht geben. Der Weg ist noch lang – aber er ist nicht unbegehbar.
Welche weiblichen Filmschaffenden inspirieren Sie aktuell besonders?
Berben: Im deutschsprachigen Raum denke ich an großartige Frauen wie Sandra Hüller, Leonie Benesch oder Anna Maria Mühe – jede für sich beeindruckend, mutig in der Rollenauswahl, klar in ihrer Haltung. Diese Listung lässt sich aber natürlich weiter führen, es gibt viele inspirierende, weibliche Persönlichkeiten. International inspiriert mich seit vielen Jahren beispielsweise Julianne Moore, auch Cate Blanchett oder Kate Winslet. Und dann sind da junge Talente wie Saoirse Ronan oder Elle Fanning, die zeigen, dass kluge Rollenauswahl und künstlerische Integrität keine Altersfrage sind. Diese Frauen setzen Zeichen – durch ihre Arbeit und durch ihre Präsenz.
Was braucht es, damit auch Frauen über 50 mehr Raum in Drehbüchern und Produktionen bekommen – nicht nur als Mutterfigur oder Nebenrolle?
Berben: Zunächst braucht es ein grundlegendes Umdenken – in der Branche, aber auch in der Gesellschaft. Es beginnt damit, wer Geschichten erzählt und wer über Inhalte, Budgets und Besetzungen entscheidet. Deshalb ist es so wichtig, dass mehr Frauen in Schlüsselpositionen vertreten sind – insbesondere als Produzentinnen oder in Entscheidungsrollen, in denen es um die Verteilung von Geldern geht. Wie in vielen anderen Branchen gilt auch hier: Echte Veränderung entsteht durch Parität. Nur so kann auch das Bild der Frau über 50 in unserer Gesellschaft differenzierter und zeitgemäßer erzählt werden. Es geht darum, Frauen jenseits gängiger Klischees zu zeigen – nicht nur als Mutterfigur oder „rüstige Großmutter“, sondern als vielschichtige Hauptfiguren mit eigenen Träumen, Wünschen, Erkenntnissen, Brüchen, Verlusten und Entwicklungen. Wir sind da auf einem guten Weg, aber es braucht weiterhin Beharrlichkeit. Wir müssen diese Sichtbarkeit immer wieder einfordern, bis sie zur Selbstverständlichkeit wird.
Was macht für Sie eine gut geschriebene Frauenfigur aus – jenseits von Alter, Beziehung oder Mutterschaft?
Berben: Eine Figur wird dann interessant, wenn sie nicht über ihre Beziehungen definiert wird, sondern über sich selbst. Ihre Gedanken, ihre Zweifel, ihre Entwicklung. Eine gute Frauenfigur trägt ihre Geschichte in sich – mit Brüchen, mit Mut, mit Ambivalenz. Sie darf stark sein und verletzlich, wütend und zärtlich, rational und irrational. Und sie muss nicht gefallen wollen. Das ist für mich die Essenz: dass eine Figur aus sich heraus erzählt wird und nicht, um ein Stereotyp zu bedienen.
Sie gelten als Vorbild für viele Frauen über 50 – stark, sichtbar, selbstbestimmt. Wie erleben Sie selbst das Älterwerden in der Öffentlichkeit?
Berben: Was mich persönlich immer wieder irritiert – und was viel über bestehende Denkmuster aussagt – ist dieser Satz: „Für Ihr Alter sehen Sie aber noch gut aus.“ Das klingt auf den ersten Blick vielleicht wie ein Kompliment, aber es offenbart auch, wie stark wir noch immer an äußeren Bildern hängen. Der Satz impliziert, dass wir in dem Alter nicht mehr sichtbar sein könnten. Und das ist ein Bild, das wir dringend hinter uns lassen müssen. Und dafür braucht es nicht nur neue Erzählungen in Film und Medien, sondern auch ein anderes Selbstverständnis – in uns selbst und in der Gesellschaft. Zum Glück verändert sich gerade viel: Wir sehen immer mehr Frauen in der Öffentlichkeit, die auch jenseits der 50 stark, präsent und inspirierend sind, wir blicken immer mehr Vorbildern entgegen. Und wir haben eine jüngere Generation, die mit anderen Rollenbildern und einem gesünderen Verhältnis zum Älterwerden aufwächst. Ich glaube, das ist ein Prozess. Und wenn wir ihn weiter bewusst gestalten, kann daraus hoffentlich irgendwann eine echte Selbstverständlichkeit entstehen.
Was schätzen Sie heute an sich selbst, was Ihnen vielleicht mit 30 noch nicht bewusst war?
Berben: Man entwickelt sich im Laufe des Lebens immer weiter, wächst in bestimmte Haltungen und Themen hinein. Mich prägte relativ früh die Erkenntnis: Mich gibt es nur einmal. Und mit diesem Gedanken beginnt ein Prozess, man lernt, achtsam und wertschätzend mit sich selbst umzugehen. Sich selbst anzunehmen, und dennoch korrekturfähig zu bleiben. Denn natürlich nehmen wir im Laufe der Zeit, des Lebens an Veränderungen teil – dennoch sollten wir unseren eigenen Weg gehen und Veränderungen sowie Entwicklungen aus einer Haltung der Freundschaft mit sich selbst heraus antreten. Heute kann ich sagen: Ich bin befreundet mit mir. Mit der Zeit kann man aufhören, den Maßstäben anderer hinterherzulaufen. Man lernt, seine eigenen zu setzen – ein Leben nach dem Motto „I am Worth It“ frei zu gestalten, fremde Erwartungen loszulassen. Es gibt dieses eine Leben. Und das verdient es, mit Neugier und Mut gelebt zu werden.
Haben Sie je daran gedacht, Ihre Schauspielkarriere zu beenden und nur noch den Ruhestand zu genießen?
Berben: Der Gedanke taucht manchmal auf – aber nie so, dass ich ihn wirklich zu Ende denken möchte. Ich habe so viel Lebenszeit dafür eingesetzt, dass Frauen sichtbar werden, dass sie frei und selbstbestimmt leben können. Jetzt, da ich die Früchte dessen erlebe, was ich mit erkämpft habe, möchte ich es nicht einfach loslassen. Ich empfinde es als großes Privileg, durch meinen Beruf offen und wach bleiben zu können. Ich darf in andere Leben eintauchen, darf Perspektiven wechseln. Solange das möglich ist – und man mir diese Rollen zutraut – sehe ich keinen Grund, aufzuhören.