Provenienzforschung: Raubkunst im Schaukasten? – Wie Museen ihren Bestand prüfen

Gestohlen, vergessen, ausgestellt? Objekte aus der NS-Zeit stehen im Fokus einer Untersuchung. Ein Verdacht bedeutet zwar noch keine Gewissheit. Aber er begründet Nachfragen.
Der Museumsverband Rheinland-Pfalz hat ein zweijähriges Pilotprojekt zur sogenannten Provenienzforschung an vier kleinen und mittelgroßen Museen abgeschlossen. Es geht um Verdachtsmomente auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut. Einige Fragen und Antworten zu den Ergebnissen dieses Erstchecks.
Wurde NS-Raubgut in den untersuchten Sammlungen entdeckt?
Es gibt zumindest Verdachtsfälle. Bei der Prüfung im Erkenbert-Museum Frankenthal (Pfalz) und dem Roentgen-Museum Neuwied sowie dem Stadtmuseum Bad Dürkheim und dem Eifelmuseum Mayen wurden zahlreiche Objekte identifiziert, deren Herkunft dem Museumsverband zufolge unklar oder höchstwahrscheinlich belastet ist. „Es liegen Anhaltspunkte auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter vor.“
Wie viele und welche Objekte sind betroffen?
In Neuwied wurden 31 höchstwahrscheinlich belastete Objekte gefunden, darunter ein Konvolut aus 28 Zinnobjekten. In Frankenthal spricht man von 15 Objekten, etwa eine Sammlung ethnologischer Objekte. In Bad Dürkheim sind zehn Objekte belastet, die dem Verband zufolge aber nicht mehr zu finden waren. In Mayen wurden keine bedenkliche oder belastende Objekte festgestellt.
Wie kamen diese Objekte in die Museen?
Unterschiedlich. In Neuwied stammt das Konvolut laut Unterlagen aus Beutebeständen des Finanzamtes Neuwied. Belastet sind zudem ein Herren- und ein Damenbildnis, die vom Speicher der ehemaligen Synagoge Neuwied stammen und in das Museum gebracht wurden. In Frankenthal wurde eine Sammlung ethnologischer Objekte 2004 aus Privatbesitz erworben und steht womöglich mit kolonialem Unrecht in Verbindung.
Gibt es ein Beispiel?
Ja, etwa ein Aufsatzschreibtisch aus der Werkstatt von Georg Rudolph Gambs. Das Möbel wurde 1940 vom Roentgen-Museum in Neuwied erworben. Zwei Jahre zuvor war er bei einer Auktion angeboten worden. Dem Auktionskatalog zufolge ist der Tisch mit dem Namen „Überall“ verbunden.
Daraus ergeben sich mehrere ungelöste Sachverhalte: Steht der Nachname für Heinrich Ueberall (1869-1939), einen deportierten und im KZ Sachsenhausen gestorbenen jüdischen Kunsthändler aus Berlin? Handelt es sich bei dem Namen Überall im Auktionskatalog um den Einlieferer, den ehemaligen Besitzer oder Eigentümer? Diese Fragen waren dem Museumsverband zufolge mit dem Erstcheck aufgrund der begrenzten Zeit nicht zu klären.
Wie geht es weiter?
Der Erstcheck dient dazu, Prüffälle zu identifizieren. Erst danach kann eingehender geforscht werden, ob es sich um NS-Raubgut handelt. Der Museumsverband empfiehlt in allen vier Häusern vertiefende Recherchen im Rahmen von Forschungsprojekten oder Einzelfalluntersuchungen. „Wir haben heute sozusagen den Ball ins Feld geworfen“, sagte Leiterin Maria Lucia Weigel vom Erkenbert-Museum Frankenthal.
Wie viele Häuser im Land haben bereits ihren Bestand untersucht?
Eine im Rahmen des Projekts landesweit vorgenommene Umfrage ergab, dass rund 86 Prozent aller rheinland-pfälzischen Museen bislang keine Provenienzforschung gemacht hatten oder mit dem Thema noch nicht in Berührung gekommen waren. Nur in großen Museen hatte es Untersuchungen zur Herkunft der Sammlungen gegeben.
Was sagt die Politik?
Für Kulturministerin Katharina Binz (Grüne) ist das Projekt ein wichtiger Schritt zur systematischen Aufarbeitung von NS-Raubgut. „Provenienzforschung bedeutet, Verantwortung für unsere Geschichte zu übernehmen und die Schicksale hinter den Objekten anzuerkennen.“ Das Kulturministerium habe das Projekt mit 165.000 Euro gefördert und mit dem Museumsverband die Koordinierungsstelle eingerichtet. Die Aufarbeitung im Land sei nicht zu Ende.