SPD-Parteitag: Saskia Esken tritt ab – ein Problem der SPD bleibt

Mit stehendem Beifall verabschieden die Genossen Saskia Esken auch offiziell als SPD-Parteivorsitzende. Der Umgang mit ihr hat Spuren hinterlassen, eine Wunde. Was folgt daraus?
Saskia Esken schaut ergriffen in die Menge, die ihr stehend Beifall spendet. Es huscht ein „Alles gut“ über ihre Lippen, als sich Lars Klingbeil zu ihr herüberbeugt. Nun ist es vorbei, geschafft. Ganz offiziell. Aber ist auch alles gut?
Nach fünfeinhalb Jahren an der Spitze wurde Esken auf dem SPD-Parteitag als Vorsitzende offiziell verabschiedet. Die „Ehre meines Lebens“, sagt Esken. Zuletzt dürfte es auch eine Tortur der besonderen Art gewesen sein.
Die Häme, der Spott: Es war einsam geworden um Saskia Esken, die 2019 als erste SPD-Vorsitzende von der Basis an eine Doppelspitze gewählt worden war, und deren öffentliche Wirkung von vielen Genossen immer wieder kritisch kommentiert wurde. Erst hinter vorgehaltener Hand, dann öffentlich.
Einige ihrer Kritiker dürften auch im Berliner „City Cube“ dabei sein, wo die SPD an diesem Wochenende ihren Bundesparteitag abhält, und nun für sie klatscht. Der Umgang mit der nunmehr ehemaligen SPD-Vorsitzenden hat viele in der Partei, insbesondere an der Basis schwer irritiert, mitunter erschreckt. Und Wunden gerissen, die beim Parteitag zutage treten.
Saskia Esken hält sich kurz
Esken fasst sich mit beiden Händen ans Herz, bevor sie am Samstagvormittag zu ihrer Abschiedsrede ansetzt. Sie wird nur 15 Minuten sprechen, als wolle sie es kurz und schmerzlos halten.
Sie ruft in Erinnerung, wie nach ihrer Wahl vor fünfeinhalb Jahren mit ihr gefremdelt wurde, und nimmt für sich in Anspruch, die Genossen nach kräftezehrenden Jahren in der großen Koalition stabilisiert zu haben. „Wir haben den Turnaround geschafft“, sagt Esken. Auf Selbstkritik verzichtet sie, so hat es auch Olaf Scholz in seiner Abschiedsrede gehalten. Wie auch dem Kanzler a. D. wird es Esken nachgesehen. Schließlich hatten weite Teile der SPD mit Angriffen gegen sie nicht gespart.
Die Außenseiterin, die einst das Establishment herausgefordert hatte, wurde zuletzt selbst dazu gezählt – und nach der Bundestagswahl 2025 zur Blitzableiterin für die historische Niederlage.
Monatelang wurden Namen über die Flure im politischen Berlin geraunt, wer auf Esken folgen könnte: trittfester im Auftritt, beliebter in der Partei, erfolgreicher im Wahlkreis. Es folgten Schmutzeleien, wie etwa eine durchgestochene Urlaubsreise während der Koalitionsverhandlungen. Schließlich ätzte der Generalsekretär in ihrem Heimatverband Baden-Württemberg, dass Esken nicht zu den Top-Kandidaten für das SPD-Kabinett gehöre. Und viele Prominente schwiegen vielsagend.
Einen Tag vor Unterzeichnung des schwarz-roten Koalitionsvertrags zog Esken den Schlussstrich, erklärte überraschend ihren Rückzug. Ein Posten im schwarz-roten Kabinett wurde ihr verwehrt, sie leitet nun den Bildungs- und Familienausschuss im Bundestag. Ein Trostpreis. Esken hatte sich ein Regierungsamt zugetraut, als Parteivorsitzende faktisch auch Anspruch darauf gehabt. Wie Klingbeil. Doch der interne Druck war offenbar zu groß.
Esken geht in ihrer kurzen Rede mit keiner Silbe darauf ein, es wissen ja sowieso alle. Schon zu Beginn des dreitägigen Parteitags am Freitag hatten die zurückliegenden, unrühmlichen Wochen eine Rolle gespielt. Auch die Parteivorsitzenden konnten sie in ihren Bewerbungsreden nicht aussparen.
„Willst Du Dir das antun?“
Die öffentliche Kritik, die man in der Politik aushalten müsse, sei bei Esken „oftmals über das gerechtfertigte Maß deutlich hinaus gegangen“, sagt Lars Klingbeil, einst Eskens Generalsekretär. Aus Sicht seiner Kritiker hatte aber auch Klingbeil die Debatte um Esken viel zu lange laufen lassen und nicht energisch genug einzuhegen versucht.
Bärbel Bas, Eskens Amtsnachfolgerin, fragte sich mit Blick auf ihre Vorsitzkandidatur: „Willst Du Dir das antun?“ Die SPD habe bisher zwei Frauen als Vorsitzende gehabt: Saskia Esken und Andrea Nahles. Beide hätten sich mit „gemischten Gefühlen“ aus dem Amt zurückgezogen, sagt Bas betont doppeldeutig. Der Umgang mit ihnen sei „kein Glanzstück“ gewesen.
Da schwingt mit: Die SPD hat aus ihren Fehlern, die sie einst bei der Demontage von Andrea Nahles gemacht hat, nicht gelernt – und sie bei Esken teils wiederholt.
Doch Esken gibt sich auf der Parteitagsbühne versöhnlich. Sie dankt Olaf Scholz. Sie dankt den Jusos. Sie dankt der Partei, den Mitarbeitern im Willy-Brandt-Haus und der „wunderbaren“ Bärbel Bas, an die sie nun den Staffelstab übergebe. Bas werde eine „großartige“ Parteivorsitzende sein, glaubt Esken. Lars Klingbeil, ihrem langjährigen Co-Vorsitzenden, dankt sie so: „Danke für Dein Vertrauen, danke für Deine Zusammenarbeit und viel Erfolg.“ Man sei nicht immer derselben Meinung gewesen, aber immer der gemeinsamen Überzeugung: Die SPD könne nur stark sein, wenn sie in ihrer Verschiedenheit lebe und zusammenhalte. Die Verschiedenheit haben die beiden Vorsitzenden gelebt, kein Zweifel.
Der Nachteil der Doppelspitze
Dass die Doppelspitzen-Konstellation auch Nachteile hat, ist in der Achse Klingbeil-Esken deutlich geworden. Klingbeil ist derjenige gewesen, der die Richtung vorgeben hat und die Themen an sich riss, mit denen sich punkten lässt: mit dem Kampf um Industriearbeitsplätze, der Sicherheitspolitik. Mit Bildung und Digitalem, wo es selten Erfolge zu vermelden gibt, konnte Esken kaum einen Stich machen. Eskens Malus war auch Klingbeils Bonus. Die Frage, wer von beiden sich besser anstellt, schwingt bei einer Doppelspitze immer mit.
Nun liegt es an der Doppelspitze Klingbeil/Bas, die SPD wieder aufzurichten – und Wunden zu heilen, die in den vergangenen Monaten entstanden sind. Das hat auch das Wahlergebnis der Vorsitzenden gezeigt. Am Vortag wurde Bas mit sagenhaften 95 Prozent zur neuen SPD-Chefin gewählt, während Klingbeil mit 64,9 Prozent abgestraft wurde.
Zum Schluss bekommt Esken ein Kunstwerk überreicht, dass Willy Brandt zeigt. Klingbeil würdigt Eskens Verdienste, betont, dass er stolz sei, „dass ich diese lange Strecke mit Dir gehen durfte bisher“. Vorbei sei diese ja noch nicht, die Fortsetzung folgt an anderer Stelle. Bärbel Bas spricht nichts mehr ins Parteitagsmikro. Offenbar auf Wunsch von Esken, die wirkt, als wollte sie den offiziellen Teil möglichst knapp halten.