Diskussion um Raubtier: Gute Tiere, böse Tiere: Warum wir Störche lieben und Waschbären töten

Nicht alle Spezies habe eine Lobby. Waschbären werden als gefräßige Froschfresser bejagt. Störche hingegen fressen Amphibien und werden hofiert. Warum eigentlich?
Zorro, der Mann mit der Maske, ist ein Held. Mit schwarzem Umhang um die Schultern verteidigt er im 1919 veröffentlichten Groschenroman „Der Rächer der Armen“ die Unterdrückten seiner Heimatstadt in Kalifornien. Mit Degen in der Hand kämpft er gegen die skrupellosen Machenschaften der Herrschenden.
In unseren Wäldern und Städten ist der kleine Bär mit der Zorro-Maske kein Held, sondern ein Bösewicht, den es möglichst effektiv zu bekämpfen gilt. Mehr als 200.000 Waschbären erlegen Jäger jedes Jahr in Deutschland. Die Begründung: Die kleinen Raubtiere würden die heimische Tierwelt gefährden. Als sogenannte invasive Art hat der Waschbär nichts zu lachen und alles, was eine Flinte hat, die Lizenz zum Töten. Aber was macht ihn so zur Zielscheibe?
Gefährden Waschbären wirklich Amphibienarten?
Regelmäßig im Frühjahr veröffentlicht die Senckenberg Gesellschaft, eine der führenden naturwissenschaftlichen Organisationen hierzulande, eine Pressemeldung, der zufolge Waschbären große Schäden in der heimischen Amphibienwelt anrichten, ja gar seltene Arten bedrohen würden.
Die Wildbiologin Berit Michler bezweifelt das stark. Viele Jahre hat sie das Verhalten von Waschbären untersucht. Dass sie ganze Tümpel leer fressen würden und es dabei auf besonders seltene Lurcharten abgesehen hätten, sei schlicht falsch, sagt Michler: „Allesfresser wie der Waschbär sind nicht dazu in der Lage, eine Art auszurotten, da sie sich nie von nur einer Nahrungsquelle ernähren.“
Was hingegen stimmt, sagt Michler: „Der Waschbär bedient sich immer dort, wo viel Nahrung einfach verfügbar ist. Dass dies saisonal auch Amphibien-Laichgewässer sind, ist klar.“ Versammeln sich im Frühjahr viele Frösche und Kröten zur Paarung und Eiablage an Gewässern, greift der Waschbär mit seinen kleinen Patschehändchen gerne beherzt zu.
Auch Störche fressen Frösche in Massen
Doch nicht anders macht es der Storch. Auch er strengt sich nicht mehr an als nötig. Mäht der Bauer eine Wiese, landet Adebar und frisst alles an Insekten, die im Gras gewohnt haben. Tummeln sich Amphibien am Teich, schnappt er mit seinem langen Schnabel gezielt zu, um sich und seine Jungen zu laben.
Der Unterschied zum Waschbären: Alle lieben Störche. Mit ihren langen roten Beinen und dem überwiegend weißen Gefieder sind sie die Helden zahlloser Kinderbücher und das Aushängeschild vieler Gemeinden. Niemand käme auf die Idee, einen Storch abzuschießen, im Gegenteil: Fast jedes Dorf errichtet ihm einen potenziellen Nistplatz in luftiger Höhe.
Messen wir hier nicht mit zweierlei Maß: der gute Vogel und der böse Bär? Der eine bringt die Kinder, der andere nur Ärger. Der eine war schon immer da, der andere ist ein Neubürger. Tatsache ist: Der ursprünglich in Nordamerika beheimatete Waschbär wurde vor über hundert Jahren ganz bewusst in Deutschland eingebürgert, als Pelztier und Jagdobjekt. Hier findet er wunderbare Lebensbedingungen, nicht nur in Wald und Feld, sondern auch in der Stadt.
Die Berliner Bürger nervt er so richtig. Mehr als tausend Bärchen nisten sich jedes Jahr in Dachkammern und in Lauben ein, wo sie ein warmes Plätzchen zur Jungenaufzucht und genug Futter finden. Doch das Gewehr ist keine Lösung. Denn jedes getötete Tier wird von den übrig gebliebenen schnell durch Nachwuchs ersetzt. „Solange wir attraktive Gebiete haben, können wir also schießen, so viel wir wollen – die freien Lücken werden immer wieder besetzt“, sagt Michler. Wer in seinem Garten leicht zugängliche Leckereien lagert oder trächtigen Bärinnen einen leichten Zugang zur Dachstube gewährt, wo sie ihre Jungen bekommen können, darf sich nicht beschweren, wenn die Angebote angenommen werden.
Und die Störche? Dank milderer Winter fliegen längst nicht mehr alle von ihnen gen Süden. Die Populationen wachsen bundesweit. In manchen Regionen errichten die Vögel ihre Nester inzwischen auch auf Strom- oder Bahnmasten und kollidieren beim Anfliegen öfter mit Zügen. Aber sich darüber aufzuregen, wagt niemand. Gar einen Storch abzuschießen und zu braten, wie es in einem Sprichwort heißt, ist undenkbar. Erlegte Waschbären hingegen landen inzwischen sogar in Würsten.