KI-Expertin: „Klassische Schul- und Uniabschlüsse sind künftig weniger wert“

KI wird den Arbeitsmarkt verändern. Eine ernüchternde Botschaft hat die KI-Expertin Annika von Mutius für die junge Menschen: Ihr Mehrwert in der Wirtschaft sei künftig relativ gering.

Künstliche Intelligenz (KI) hält Einzug in die Wirtschaft, aber eine revolutionäre Veränderung der Arbeitsprozesse zeigt sich noch nicht. „Der erhoffte Produktivitätsgewinn durch KI-Systeme bleibt in vielen Bereichen noch aus”, sagt Annika von Mutius, Gründerin des KI-Start-ups Empion. Die promovierte Mathematikerin hat ihr Unternehmen vor dreieinhalb Jahren gegründet. Die 31-Jährige setzt bei ihrer Personalmanagement-Software Künstliche Intelligenz (KI) ein, um den Bewerbungsprozess zwischen Unternehmen und Kandidaten so zu optimieren, dass Anforderungen, Erwartungen und Fähigkeiten besser abgestimmt werden. Sie sehe, im eigenen Unternehmen, bei Kunden und im gesamten Arbeitsmarkt, dass Jobs durch den Einsatz von KI zwar verändert werden, der Prozess bislang aber langsamer verlaufe, als erwartet, sagt von Mutius.

Viele Unternehmen trauten sich laut von Mutius noch gar nicht richtig an den Einsatz von KI heran. In den USA liege die Anwendungsquote bei 60 bis 70 Prozent, in Deutschland dagegen im Schnitt eher bei 20 Prozent. Dabei gibt es Unterschiede je nach Branche: während die Fintech-Branche führend sei, hinke ihr eigener Bereich die Personalarbeit mit einer Anwendungsquote von 10 bis 15 Prozent hinterher. 

Gut zweieinhalb Jahre, nachdem die Veröffentlichung von ChatGPT eine neue Welle an KI-Innovationen losgetreten hat, zeichnet sich langsam ab, wie die neue Technologie das Leben und die Arbeit verändern wird. Dass der Einsatz von KI Arbeitsplatzverluste mit sich bringen könnte, darüber wird seit Jahren orakelt. Aber wer wann und in welchem Ausmaß betroffen sein würde, ist bislang Spekulation. 

Duales Studium wird an Relevanz gewinnen

Doch langsam zeichnet sich ein schärferes Bild ab. Denn durch generative Systeme kann auf das gesamte gespeicherte Menschheitswissen zugegriffen werden. Das ermöglicht es in vielen Bereichen, Informationen ganzheitlich zu verarbeiten und daraus bessere Schlussfolgerungen zu ziehen. „Damit werden klassische Schul- und Uniabschlüsse künftig weniger wert“, so von Mutius. „Und letztlich werden Jobs obsolet, die auf reiner Wissensarbeit basieren. Dazu gehören auch Einsteigerjobs.“ Deren Mehrwert sei damit künftig relativ gering. 

Das ist eine ernüchternde Prognose für die junge Generation. Im Umkehrschluss sieht die Empion-Chefin die Chance, dass Ungleichheiten zwischen verschiedenen Ausbildungsniveaus nivelliert werden können. Das Bildungssystem müsse allerdings grundlegend reformiert werden. „Denn wenn nicht mehr der reine Wissensgewinn das Ziel der Ausbildung ist, dann wird der Austausch zwischen Theorie und praktischer Anwendung wichtiger“, so von Mutius. „Deshalb wird so etwas wie das Duale Studium an Relevanz gewinnen.“ Unternehmer und Manager, aber auch Arbeits- und Bildungspolitiker müssten klären, wo Wissen und Kompetenzen fehlen und welche Qualifikationsmaßnahmen nötig sind, um die Menschen für Tätigkeiten in einer KI-gesteuerten Arbeitswelt zu befähigen.