Nähe zu Schutzgebieten: Windräder trotz Vogelschutz – Studie zeigt, wie es in der Realität läuft

Wie gefährlich werden Windräder der heimischen Vogelwelt? Dieser Frage geht eine aktuelle Studie nach. Die Vermutung: Manche Anlagen hierzulande dürften rechtswidrig sein.
Beim Bau von Windrädern wird in Deutschland der Artenschutz häufig untergraben. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie im Auftrag der Deutschen Wildtier Stiftung.
Alle der insgesamt 15 Brutvogelarten, die vom Gesetzgeber als kollisionsgefährdet eingestuft werden, seien von diesem Missstand betroffen, so die Umweltschützer.
Mit ihren schweren Rotorblättern bedrohen Windenergieanlagen viele heimische Brutvogelarten, heißt es in der Pressemitteilung zu der Untersuchung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Die Studie belege, dass Vogelschutzgebiete in Deutschland erheblich von der Nähe zu Windkraftanlagen betroffen seien. „Viele Anlagen stehen sogar innerhalb der Schutzgebietsgrenzen.“
Umweltschutz-Verbände üben eigentlich wenig Kritik an Windrädern
Die Studie der renommierten Organisation ist aus drei Gründen bemerkenswert: Erstens gelten deutsche Umweltverbände als eher windkraftfreundlich, da sie sich für den Klimaschutz – also für die Verringerung von CO₂-Emissionen – einsetzen. Tatsächlich betont auch die Deutsche Wildtier Stiftung in ihrer Pressemitteilung zu der Untersuchung, dass sie ausdrücklich den Ausbau der erneuerbaren Energien begrüße.
Zweitens ist in der Untersuchung die Rede von der vermuteten Rechtswidrigkeit vieler Anlagen in Deutschland – obwohl Windparks festgelegte Genehmigungsprozesse durchlaufen, die auch immer wieder juristischen Auseinandersetzungen Stand halten müssen.
Und drittens beleuchtet die vom Büro Schreiber Umweltplanung aus Bramsche bei Osnabrück erstellte Studie lediglich den Zeitraum bis Ende Dezember 2021. Seither wurden jedoch viele neue Anlagen genehmigt oder alte Windräder durch neue ersetzt. Die Auswirkungen auf die Natur hierzulande dürften sich also inzwischen noch verstärkt haben. In ganz Deutschland stehen nach Angaben der Branche etwa 30.000 Windräder.
Erbitterte Proteste gegen Windkraft im Reinhardswald
Wie hitzig die Debatte um immer neue Windparks hierzulande geführt wird, zeigt unter anderem der Streit um Windindustrieanlagen, die im nordhessischen Reinhardswald, auch bekannt als „Grimms Märchenwald“, geplant sind. Dort gehen Anwohner und Umweltschützer seit Jahren gegen die Pläne vor – mit bislang geringem Erfolg.
Denn Windkraft hat ein positives Image, wird vom Staat durch Subventionen gefördert und ist für ihre Betreiber attraktiv. In der Branche herrscht Goldgräberstimmung, seitdem der Bundestag Mitte 2024 die Hürden für die Genehmigungen von Windrädern senkte und die Vergütungen für die Anlagen weiter stiegen.
Allein in jenem Jahr wurden laut der „Tagesschau“ insgesamt 2400 Anlagen genehmigt. Dieser staatlich geförderte Industriezweig ist damit abgekoppelt von der allgemein schrumpfenden Wirtschaft in Deutschland. Die Pacht pro Windrad kann dem Landbesitzer nach Branchen-Informationen im Extremfall mehr als 400.000 Euro einbringen – pro Jahr. Aber auch die Untergrenze, die sich in einer Spanne zwischen 20.000 Euro und 70.000 bewegt, gilt noch immer als lukrativ.
Leidtragende sind die Naturräume, zeigt die Deutsche Wildtier Stiftung als Herausgeberin der Untersuchung. Die Studie konzentriert sich auf die Windindustrie auf dem Festland und untersuchte, wie nah Windräder an Vogelschutzgebiete gebaut wurden. Es geht dabei um solche Areale, in denen mindestens eine kollisionsgefährdete Brutvogelart geschützt werden soll – wie etwa der Rotmilan, der Schreiadler oder die Wiesenweihe.
Dabei kam den Angaben zufolge heraus: In Deutschland stehen fast 500 Anlagen innerhalb der Grenzen von Schutzgebieten. Zudem lägen 60 Prozent aller Vogelschutzgebiete in einem gesetzlich relevanten Prüfbereich von Windkraftanlagen.
Generell gelte eigentlich: Je näher ein Windrad an einem Brutplatz, desto höher müssen die Auflagen sein, damit die Vögel nicht von den Rotoren erschlagen werden. Das können Bestimmungen sein, wann die Windräder abgeschaltet werden müssen. Diese Regelungen sollen in der Praxis im Extremfall dazu führen, dass es in manchen Regionen nicht mehr lukrativ ist, ein Windrad zu planen oder zu betreiben. So jedenfalls die Theorie laut der Studie.
In der Praxis erlaube der Gesetzgeber regelmäßig Ausnahmen und habe den Umfang der Abschaltauflagen begrenzt. Das Tötungsrisiko für die Brutvögel werde damit in Kauf genommen, kritisieren die Umweltschützer.
Anders ausgedrückt: Die Rotoren dürfen sich drehen, obwohl das Risiko besteht, dass die Tiere erschlagen werden, die eigentlich in ihren Schutzgebieten vor solchen Gefahren sicher sein sollten.
Die Naturschützer fordern schärfere Auflagen für das Abschalten von Anlagen. Auch kritisieren sie das Bundesnaturschutzgesetz als zu lax: Viele Vogelarten, die ebenfalls durch Windkraft gefährdet seien, würden darin nicht berücksichtigt, etwa die Uferschnepfe oder der Schwarzstorch. Von Vogelwarten würden außerdem größere Abstände zwischen Windrädern und Brutplätzen empfohlen, als sie der Gesetzgeber vorsieht.
Und schließlich sind die Herausgeber überzeugt, dass sich die Genehmigungen vieler Windkraftanlagen in Deutschland bei einer erneuten Prüfung als rechtswidrig herausstellen würden: Nach EU-Recht hätten sie nicht genehmigt werden dürfen – so jedenfalls ein Fazit der Studie.
Windpark-Betreiber müssen aber keine Angst haben, das sehen auch die Umweltschützer so. Denn aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes dürfen sich wohl auch solche Windräder weiterdrehen, die in Gebieten stehen, wo eigentlich Artenschutz gilt.
Durch Windräder werden schätzungsweise 100.000 Vögel pro Jahr getötet, schreibt der Windkraft-freundliche Naturschutzbund BUND in einem Beitrag aus dem Mai 2024. Um die reine Zahl geht es jedoch in der neuen Studie der Deutschen Wildtier Stiftung nicht. Vielmehr zeigt sie, wie dicht Windparks an Schutzgebieten stehen – und damit den Zweck solcher Zonen zumindest untergraben.
Quellen: Deutsche Wildtier Stiftung, „Tagesschau„, BUND, MDR, „Agrarheute„, „Windenergie.de„, „Handelsblatt.de„, Statista,