M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier: Wenn Politiker inszenieren: Von Papageien bis Currywurst

Politiker inszenieren sich gern mit Tieren und Essen: Ob Merkel von Graupapageien attackiert, Scholz Fischbrötchen probiert oder Piechotta ein Käse-Selfie macht.
Politiker lassen sich für gewöhnlich mit allem und jedem fotografieren: Eisbären, Telefonzellen, Roboter, Dackel, Gloria von Thurn und Taxis, egal. Hauptsache, Wirkung.
Tiere sind immer gut, haben leider den Nachteil, unberechenbar zu sein. So musste sich Angela Merkel am Ende ihrer Amtszeit von einem Rudel Graupapageien angreifen lassen, was zu unschönen Bildern vom schmerzverzerrten Gesicht der Kanzlerin geführt hatte. Ob Friedrich Merz dieses Foto gerahmt auf dem Schreibtisch stehen hat, ist nicht bekannt. Sicher aber ist: Die meisten Politiker machen ihre Fotos mit Tieren lieber dann, wenn sie bereits am Ende der Verwertungskette angekommen, sprich verarbeitet, sind.
So hatte Olaf Scholz in einem Akt finaler Demütigung den verstörten Emanuele Macron dazu genötigt, am Hamburger Hafen in ein Fischbrötchen zu beißen.
Ex-Kanzler Gerhard Schröder solidarisierte sich mit der Currywurst, dem „Kraftriegel des Facharbeiters“, als diese vom Betriebskantinenspeiseplan gestrichen werden sollte.
Helmut Kohl und die Kraft der Butter
Und Helmut Kohls Saumagen war mehr als nur eine regionale Delikatesse. Er galt als Ausdruck einer neuen deutschen Strickjackigkeit, vor der sich das weltkriegsgeschüttelte Europa nicht mehr zu fürchten brauchte.
Von der lückenlosen Dokumentation der Nahrungskette eines bayerischen Ministerpräsidenten mal ganz abgesehen. Wo die Sprachfertigkeit endet, da beginnt die Fotostrecke.
Klar, speziell Lebensmittel waren immer schon politisch. Sie sind Bodenständigkeitszertifikat für eine Kaste, der nur noch selten Bodenhaftung unterstellt wird. Ja, sogar als Ausweis der Gesinnung muss die Mahlzeit herhalten. Du bist, was du isst. Oder zumindest das, womit du dich im Laden so fotografierst. Zuletzt zu beobachten, als sich die grüne Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta lächelnd mit einer Packung Milram Käse ablichtete und unter das Foto schrieb: „Auch wichtig: 2025 ist, wenn der Kampf gegen Hass auch mit Käse zu tun hat. #Milram“
Es gibt dazu einen Hintergrund (der dieses Foto allerdings nicht weniger lächerlich macht): Die Molkerei Milram hatte zuletzt neue, bunte Verpackungen ins Käseregal gestellt. So prangten Motive mit kunstvollen Abbildungen von Menschen diversester Art auf Müritzer, Sylter oder Burlander Käse. Was für die erwartbaren Reaktionen digitaler Schlägertruppen von AfD, Identitären und ähnlichen Volksfronten sorgte. Ein Vorgang, so überraschungsarm wie, nun ja, der Genuss von Scheibenkäse.
Der Firma Milram dürfte kein Schaden entstehen
Paula Piechotta scheint sich selbst als eine Marianne zu begreifen, die im Sinne des Gemäldes „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix an der Käsetheke die Demokratie gegen den rechtsextremen Neofeudalismus à la Trump verteidigt.
In gewisser Hinsicht ist sie somit die Antipodin von Theo Müller, der unlängst noch mit Alice Weidel auf dem Gelände seiner Molkerei den 85sten nachfeierte. Braun ist halt nicht nur die Schokomilch. Weil Müller eher die stille Verkommenheit pflegt, fällt das Echo auf das plumpe Moralgepose von Piechotta deutlich stärker aus. Die Frau ist immerhin gelernte Radiologin, kennt sich also mit Strahlkraft aus.
Der Firma Milram dürfte über willkommene Aufmerksamkeit hinaus kein Schaden entstehen. Ein Boykott wegen störender Plastikverpackungsdiversität: unwahrscheinlich. Wer sich im Leben für Scheibenkäse entschieden hat, für den gibt es kein Zurück mehr. Anders gesagt: Der Käse ist eigentlich Wurst.
Dass die Plastikverpackung des gefeierten Molkereiproduktes nicht so richtig ökologisch daherkommt und Milram auch sonst nicht durch allzu viel Tierwohlinteresse aufgefallen ist, passt zum Zeitgeist moderner politischer Kommunikation: Solange die Verpackung nur ausreichend kultig daher kommt, ist alles Widersprüchliche darin völlig gleich. Hauptsache, es knallt.
Manchmal sogar buchstäblich. Nachdem die Trans-Influencerin Dylan Mulvaney 2023 Werbung für die Biermarke „Bud Light“ gemacht hatte, reagierte der Trump-Fan und Musiker Kid Rock mit einem Video, in dem er fluchend auf ebendiese Bierdosen schoss. Immerhin nur auf Dosen.
Die Unternehmen lachen sich regelmäßig tot: Wenn eine Sau durchs Dorf getrieben wird, will jeder Jockey sein. Zuletzt zu beobachten beim Jeanshersteller American Eagle, in deren Spot man bemerkte, die blonde und blauäugige Schauspielerin Sydney Sweeney habe „greatjeans“ bzw. die phonetisch ähnlich klingenden „genes“. Was ein paar Tausend NetzaktivistInnen pflichtschuldig als Nazi-Propaganda enttarnten. Darauf hatte man nur gewartet. So focht man wieder einmal einen Kulturkampf aus, den es so nie gab. Social Media funktioniert in seiner reflexartigen Selbstgenügsamkeit eben oft wie der Nacktmull. Dieser haarlose Nager, der sich von seinem eigenen Kot ernährt.
Womit wir wieder bei Lebensmitteln wären. Helmut Kohl nutzte das Essen nicht nur identitätspolitisch, sondern auch als Kraftquelle. So vertilgte er während EU-Ratssitzungen mal über ein Dutzend der kleinen Buttertäfelchen, die eigentlich zum Schmieren von Brötchen auf dem Konferenztisch gedacht waren. Zur Beruhigung.
Und der Nemesis von Wurstfressfetischist Markus Söder, Robert Habeck ist etwas gelungen, was selbst der fränkischen Fleischbrätimperator nicht geschafft: Er ist mit seinem Abgang einfach stumpf mutiert – zur Leberwurst. Da kann man schon neidisch werden. Bei der nächsten sich anbahnenden Eskalation heißt es besser: Mach’s wie Kohl. Butter essen und abregen.