Meinung: Das wahre Problem von Schwarz-Rot

Die Koalition demonstriert Betriebsamkeit, um den Blick von Betriebsstörungen zu ablenken. Dabei eint Union und SPD derzeit nur ein gefährliches Gefühl.
Es ist zu befürchten, dass der trügerische „Geist von Würzburg“ an diesem Abend auch durch das Berliner Kanzleramt wehen wird. Es ist der vermeintliche Spirit, den Union und SPD in der vergangenen Woche bei der Klausur ihrer Fraktionsführungen entdeckt zu haben glaubten, einen Korpsgeist, der Zwist vergessen macht, der Brücken baut und Lösungen findet.
Das Problem ist nur: Geister gibt es nicht, auch diesen nicht.
Wenn die Regierungsspitzen von Union und SPD heute Nachmittag zum Koalitionsausschuss zusammenkommen, dem ersten nach der parlamentarischen Sommerpause, wollen sie dennoch das Signal aussenden, nun kraftvoll in den proklamierten „Herbst der Reformen“ zu starten. Tatsächlich offenbaren CDU, CSU und SPD aber gerade ihre Schwäche.
Die jüngsten Schlagabtausche und Streitigkeiten zeigen eines: Die Koalition eint derzeit nicht viel mehr als das Gefühl, die eigenen Leute bei Laune halten zu müssen. Und das nach gerade mal 120 Tagen im Amt. Mit Blick auf die kommenden Monate, auf das bevorstehende Superwahljahr 2026, lässt das nur Böses ahnen.
Union und SPD zeigen sich auf Konfrontationskurs
Wenn schon in Würzburg eines deutlich wurde, dann dies: wie wenig die Koalitionspartner sich über den Weg trauen. Im Unterfränkischen haben die Vorstände der schwarz-roten Bundestagsfraktionen nach zwei Tagen des Teambuildings zwar einen neuen, gemeinsamen Geist beschworen. Dabei haben sie im Grunde nur den Beschluss gefasst, die erst kürzlich gemeinsam im Koalitionsvertrag getroffenen Verabredungen künftig auch getreulich umzusetzen. Ach was? Offenbar war diese gegenseitige Vergewisserung bitter nötig.
„Wir sind zum Erfolg verpflichtet“, hatte Unionsfraktionschef Jens Spahn als Losung ausgegeben. Wenn der eine glaube, sich zulasten des anderen profilieren zu müssen, werde es nicht funktionieren. Das ist so banal wie richtig. Nur muss es dann auch von allem gelebt werden, allen voran vom Chef der Koalition, Bundeskanzler Friedrich Merz.
Erst wenige Tage zuvor hatte Merz der SPD dazu geraten, ein bisschen mehr so zu werden wie die CDU. Wörtlich riet er den Genossen von einer CDU-Parteitagsbühne herab: „Wenn diese Partei die Kraft besitzt, migrationskritisch zu werden und industriefreundlich zu werden, dann hat diese Partei auch eine Chance, in der Regierung Tritt zu fassen.“
Kraft besitzt? Tritt fassen? Der gönnerhafte Tipp des Kanzlers und CDU-Vorsitzenden, wie sich die 15-Umfrageprozent-SPD zu verhalten habe, konnte den Genossen weder in der Sache noch in der Form gefallen. Co-Parteichefin Bärbel Bas revanchierte sich beim Besuch des SPD-Nachwuchses im heimischen NRW mit einem derben „Bullshit“-Zitat. Die Aussage des Kanzlers, der Sozialstaat sei so nicht mehr finanzierbar, sei nämlich genau das: Blödsinn.
Sowohl Merz als auch Bas wollen die eigene Klientel bei der Stange halten, wollen beweisen, dass sie sich vor dem Koalitionspartner nicht einfach in den Staub werfen.
Nun könnte man dieses Bullshit-Bingo als Wahlkampf-Rhetorik abtun, am 14. September stehen Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen an. Doch mit welchen Vokabeln werden sich die Koalitionäre erst belegen, wenn die wirklich harten Brocken kommen?
Herbst der Schwerstarbeit
Die Wirtschaft schrumpft, die Arbeitslosigkeit steigt. Allein im Haushalt für 2027 klafft ein 30-Milliarden-Euro-Loch, das noch schmerzhafte Einsparungen verlangen wird – die bisher noch keine Bundesregierung in dieser Kürze und Größenordnung erbracht hat. Die Gespräche darüber fallen ausgerechnet ins Wahljahr 2026 mit fünf Landtagswahlen.
Nicht zu vergessen: Die verabredete Großreform des Sozialstaats, von der Rente bis zur Pflege, hat noch nicht einmal begonnen. Die eingesetzten Kommissionen haben bislang noch keine Reformvorschläge vorgelegt. Doch schon bricht ein Streit über die Kosten des Bürgergelds aus.
Auf die Koalitionäre kommt politische Schwerstarbeit zu. Die größte Kraftanstrengung scheint derzeit aber zu sein, der Versuchung zu widerstehen, sich auf Kosten des Koalitionspartners zu profilieren.