Smart Meter: „Verbraucher könnten 70 Prozent Stromkosten sparen“

Die Firma Tibber verkauft Strom zu dynamischen Preisen – mithilfe sogenannter Smart Meter. Im Interview kritisiert ihr Deutschlandchef die Energiestrategie der Regierung.
Herr Lauenburg, wir Deutschen kaufen Lebensmittel oder Benzin, wenn es billig ist. Warum funktioniert das bei Strom nicht?
Es fehlt an Bewusstsein, dass sich Strompreise genau wie Benzinpreise verändern. Wir Deutschen sind an einen künstlich fixierten Strompreis gewöhnt. Es fehlt aber auch die technische Infrastruktur in Deutschland, um überhaupt viele Menschen dazu zu bewegen, Strom intelligent zu verbrauchen.
Tibber bietet seit Jahren dynamische Stromtarife an. Das heißt zum Beispiel: Wer nachts wäscht, wenn die Strompreise mangels Nachfrage an der Börse purzeln, profitiert vom billigen Strom. Aber es geht nicht recht voran.
Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür sind intelligente Stromzähler, sogenannte Smart Meter. Sie liefern Daten darüber, wann wir wie viel Strom verbrauchen und ermöglichen uns durch die intelligente Verschiebung unserer Verbräuche, Geld zu sparen. Bei der Markteinführung dieser Technik ist Deutschland Schlusslicht in Europa. Während in vielen europäischen Nachbarländern bereits 100 Prozent der Haushalte über Smart Meter verfügen, sind es bei uns nicht einmal drei Prozent.
Woran liegt das?
Wir stehen uns vor allem selbst im Weg: zu viel Bürokratie, komplexe Prozesse bei der Beantragung, Installation und Inbetriebnahme von Smart Metern. Die Technik, die wir verbauen, ist zu teuer und kompliziert. Es gibt knapp 900 Unternehmen, die Messstellen betreiben – die also für die Verbreitung der smarten Zähler verantwortlich sind; 300 von ihnen haben bis heute kein einziges intelligentes Messsystem eingebaut. 600 haben nicht einmal fünf Prozent ihrer Kunden im Pflichtrollout damit ausgestattet, obwohl es bis Jahresende 20 Prozent sein sollen.
Stehen auch die großen Energieunternehmen, die gut leben von statischen Strompreisen, auf der Bremse?
Traditionelle Energiekonzerne verdienen seit 100 Jahren Geld damit, Strom zum Fixpreistarif je Kilowattstunde zu verkaufen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass dynamische Stromtarife und damit der Einbau von smarten Zählern diesem Geschäftsmodell zuwiderlaufen. Dennoch sind die bürokratischen Hürden die größte Herausforderung.
Wenn ein Verbraucher bei seinem Netz- oder Messstellenbetreiber anruft und sagt: „Ich möchte einen Smart Meter“, was passiert dann in der Regel?
Die meisten Kundinnen und Kunden wissen gar nicht, wo sie sich melden sollen, wenn sie einen Smart Meter wollen. Wenn doch, dann hat jeder Messstellenbetreiber seine eigenen Regeln, eigene Online-Formulare, unterschiedliche Preise. Viele Messstellenbetreiber versuchen auch, entsprechende Anfragen abzublocken, weil sie bisher schlicht nicht in der Lage sind, Smart Meter zu installieren. Wir versuchen, unsere Kundinnen und Kunden so gut wie möglich über die Smart-Meter-Bestellung aufzuklären und unterstützen sie dabei mit einem automatisierten Bestellprozess.
Es gibt aber doch eine gesetzliche Verpflichtung, Smart Meter einzubauen. Wer kann diese einfordern?
Haushalte, die steuerbare Verbrauchseinrichtungen betreiben wie Heimspeicher, E-Autos, Wallboxen und Wärmepumpen mit über 4,2 Kilowatt Leistung, haben ein Anrecht auf ein intelligentes Messsystem. Hinzu kommen Haushalte mit PV-Anlagen ab sieben Kilowatt Peak und mit einem Jahresstromverbrauch von mehr als 6000 Kilowattstunden. Bei all diesen muss der Smart Meter innerhalb von vier Monaten nach Anfrage installiert werden. Alle anderen, die anfragen, müssen mit deutlich höheren Kosten rechnen. Manche Anbieter verlangten nur für die Installation bis vor Kurzem über 900 Euro!
Sie haben gegen solche Preise Beschwerde bei der Bundesnetzagentur eingelegt. Ist schon etwas dabei herausgekommen?
Wir sind zudem juristisch gegen einzelne Netzbetreiber vorgegangen. Einige haben dann die entsprechenden Preisblätter aus dem Netz genommen – allerdings nur, um dann die hohen Installationskosten gegen eine erhöhte jährliche Betriebsgebühr auszutauschen. Über die Eichdauer von acht Jahren gerechnet kommt man damit auf das Gleiche raus.
Die Netzbetreiber haben also die Lizenz zum Abzocken?
Es ist eher eine Lizenz zum Abschrecken. Der Einbau von Smart Metern ist erst ab einer hohen Stückzahl wirtschaftlich. Die meisten Messstellenbetreiber haben kein erhöhtes Interesse daran.
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche will nun alles flexibler und billiger machen. Was halten Sie von ihrem neuen Zehn-Punkte-Plan zum Umbau der Energiewende?
Wir begrüßen ihr klares Bekenntnis zur Digitalisierung und Flexibilisierung der Energiewende. Aber ihre Schlüsse sind teilweise die falschen. Wir fordern eine Smart-Meter-Offensive statt eines Gaskraftwerksaktionismus.
Was hätten Sie sich konkret gewünscht?
Wir haben in Deutschland enorme Mengen an erneuerbaren Energien hinzugebaut. Wir werden aber in ein Problem laufen, wenn wir es nicht schaffen, diese erneuerbaren Energien effizient zu nutzen, also genau dann, wenn sie erzeugt werden. Deswegen müssen die Kosten für intelligente Messsysteme runter und der Bestellprozess muss deutlich vereinfacht werden. Und wenn wir diese Kosten reduzieren, wenn also mehr Menschen flexibel Strom verbrauchen können, sparen wir auch Netzausbaukosten und der Strom wird für alle günstiger.
Oft müssen Windräder stillstehen, wenn zu viel Strom im Markt ist und die Stromnetze instabil zu werden drohen.
Ja, und das tut weh. Pro Jahr verlieren wir ungefähr den Jahresstromverbrauch von Hamburg durch dieses Abschalten von Grünstrom. In der ersten Jahreshälfte 2025 stammten 54 Prozent unseres Stromverbrauchs in Deutschland aus erneuerbaren Quellen. Allein, wenn alle Haushalte, die bereits E-Autos, Wärmepumpen oder Heimspeicher haben, heute schon über einen Smart Meter verfügten, könnten wir diesen Wert ohne weiteren Zubau von Erneuerbaren auf 67 Prozent erhöhen.
Kritiker würden sagen: Der Lauenburg hat gut reden. Er will schließlich Strom nach seiner Art verkaufen.
Klar, wir brauchen neue Gaskraftwerke, um eine gewisse Grundlast zu sichern. Allerdings deutlich weniger, als Frau Reiche vorschlägt – wenn wir auf die verhältnismäßig günstigere Flexibilisierung und bessere Einbindung von erneuerbaren Energien setzen. Rätselhaft, wie Katherina Reiche mit neuen Gaskraftwerken die Kosten der Energiewende senken will. Im Gegenteil, so wird es für Verbraucher richtig teuer. Die Produktion einer Kilowattstunde erneuerbarer Strom kostet fünf bis zwölf Cent, die aus einem Gaskraftwerk liegt bei 20 bis 30 Cent.
Die Wirtschaftsministerin nimmt gerade den Druck raus beim Thema Strom. Sie sagt, wir werden 2030 viel weniger verbrauchen als prognostiziert, weil weniger E-Autos, Wärmepumpen oder Unternehmen ans Stromnetz gehen als erwartet. Ist diese Prognose plausibel?
Es ist problematisch, wenn sie mit etwa 100 Terawattstunden weniger Strom kalkuliert, als es die Bundesnetzagentur tut. Solche Aussagen haben eine selbsterfüllende Wirkung auf die Elektrifizierung von Mobilität und Wärme. Denn daran wird sich auch unser Ambitionslevel beim Ausbau der notwendigen Infrastruktur orientieren. Ein langsamerer Rollout von Smart Metern und Netzausbau werden so reale Auswirkungen auf unsere Strompreise haben, weil günstige erneuerbare Energie nicht effizient genutzt werden kann. Das könnte die Deutschen verunsichern und dazu führen, dass sie noch mehr zögern, sich E-Autos oder Wärmepumpen zuzulegen, die wir so dringend brauchen, um überhaupt unsere Klimaziele zu erreichen.
Reiche will auch die Subventionen für privat genutzte Photovoltaikanlagen streichen, was viele von einem Kauf abhalten dürfte. Das müsste Sie doch jubeln lassen: Wenn die Leute sich nicht selbst vom Dach versorgen, dann müssen sie Strom bei Tibber und Co. einkaufen.
Menschen mit PV-Anlage gehören zu unseren wichtigsten Kunden. Man kann die Produktion von Sonnenstrom hervorragend mit einem dynamischen Stromtarif ergänzen. Aber grundsätzlich stimmen wir zu: Eine ungesteuerte Subventionierung von PV-Strom darf es perspektivisch nicht geben. Die Zuschüsse müssen jedoch vorsichtig und sukzessiv abgebaut werden. Wir haben es beim E-Auto erlebt, als nach der plötzlichen Streichung des Umweltbonus die Absatzzahlen rasant einbrachen.
Wie wichtig sind E-Autos für Ihr Geschäft?
Sehr wichtig. Auch für das gesamte System. Die Akkus von 350.000 E-Autos können ein Gaskraftwerk ersetzen, weil man den Strom darin flexibel im Markt einbringen kann. In Zukunft wird das E-Auto auch als fahrende Batterie für den Haushalt genutzt, um Zeiten zu überbrücken, in denen zu wenig Strom im Stromnetz zur Verfügung steht. Für all das brauchen wir aber schleunigst Smart Meter in den Haushalten.
Konkret: Was kann man sparen, wenn man einen flexiblen Stromtarif mit einem Smart Meter zur Verfügung hat?
Wir halten uns selbst mit Prognosen zurück, weil die Ersparnis deutlich davon abhängt, welche Verbrauchsgeräte man zu Hause hat, ob mit oder ohne PV-Anlage und so weiter. Es gibt aber unabhängige Analysen: Stiftung Warentest sagt, ein durchschnittlicher Haushalt mit Wärmepumpe und E-Auto kann 300 Euro im Jahr sparen. Andere Studien zeigen: Mit den zeitvariablen Netzentgelten, die es seit April 2025 in Deutschland gibt, können E-Auto-Nutzer sogar bis zu 70 Prozent gegenüber einem fixen Stromtarif einsparen. Und günstiger als Diesel oder Benzin sind Stromer beim Verbrauch sowieso.
Tibber stammt ursprünglich aus Norwegen und Schweden, wo fast alle Haushalte Smart Meter haben. Wo die Bewohner ihre vielen E-Autos laden, wenn der Strom billig ist. Wo die meisten Häuser mit Wärmepumpen geheizt werden. Was machen diese Länder besser als Deutschland?
Tibber ist der zweitgrößte Stromanbieter in Norwegen und unter den Top fünf in Schweden. Die Länder sind dem deutschen Markt im Bereich der Energiewende um zehn Jahre voraus. In Norwegen nutzen über 90 Prozent der Menschen einen stündlich dynamischen Stromtarif. Seit diesem Jahr werden dort nur noch E-Autos zugelassen. Eine ähnliche Situation haben wir in Schweden, wo 100 Prozent der Haushalte ein intelligentes Messsystem haben. Der Staat hat hier einen deutlich pragmatischeren Ansatz gewählt. Er hat Anfang 2000 den schwedischen Netzbetreibern gesagt: Bis 2009 müsst ihr in der Lage sein, den Kunden und Kundinnen die realen monatlichen Stromkosten zu nennen und nicht irgendwelche Abschlagsschätzungen. Es war den Betreibern damit selber überlassen, ob sie monatlich jemanden zur stündlichen Ablesung vorbeischicken oder freiwillig eine zeitgemäße Zählertechnik installieren. Ende der 2000er hatte dann jeder schwedische Haushalt ein Smart Meter.
Was muss Wirtschaftsministerin Reiche jetzt schnell tun, um gegenüber Skandinavien aufzuholen?
Sie muss dafür sorgen, dass Messstellenbetreiber, die die Quoten für den Marktausbau von Smart Metern nicht einhalten, sanktioniert werden. Zudem müssen alle Prozesse in diesem Ausbau schnell standardisiert werden. Schließlich brauchen wir ein „Smart Meter light“, also bezahlbare Zähler, die wir massenweise verbauen können. Wenn all das geschieht, wirkt sich der dynamische Stromverbrauch sehr positiv auf unsere gesamte Volkswirtschaft aus.