Umstrittenes Auswahlverfahren für neues Parlament in Syrien beendet

In Syrien ist ein als undemokratisch kritisiertes Auswahlverfahren zur Bestimmung der Mitglieder des ersten Parlaments nach dem Sturz des früheren Machthabers Baschar al-Assad zu Ende gegangen. Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa betonte am Sonntag in einer Ansprache vor der Wahlkommission in Damaskus den „vorübergehenden“ Charakter des Auswahlprozesses, der „mit den Umständen in Syrien“ zusammenhänge.
Da die Abgeordneten direkt oder indirekt von al-Scharaa ernannt werden, warnen Aktivisten vor einer Machtkonzentration. Die Bundesregierung begrüßte die Wahl, kritisierte jedoch, dass von ethnischen Minderheiten dominierte Regionen nicht teilnehmen durften.
Die Wahlkommission teilte am Abend mit, dass „die Wahl beendet ist und die Auszählung läuft“. Vorläufige Ergebnisse sollten noch am Abend bekanntgegeben werden, die endgültige Namensliste am Montag veröffentlicht werden.
In dem Auswahlverfahren wurden 70 der insgesamt 210 Abgeordneten von dem Übergangspräsidenten selbst ernannt, die anderen zwei Drittel von lokalen Komitees ausgewählt – die ihrerseits von der von al-Scharaa ernannten Wahlkommission ernannt werden.
Die mehrheitlich von Drusen bewohnte südsyrische Provinz Suweida und der von Kurden kontrollierte Nordosten des Landes sind vorerst von dem Auswahlverfahren ausgeschlossen, da sie nicht der Kontrolle der islamistischen Übergangsregierung unterstehen. Ihre 32 Sitze bleiben unbesetzt. Aktivisten kritisierten, dass das Verfahren al-Scharaas Macht festige und die ethnischen und religiösen Minderheiten des Landes unberücksichtigt lasse.
Im September hatte der Übergangspräsident erklärt, dass es derzeit unmöglich sei, Direktwahlen zu organisieren, insbesondere weil eine hohe Zahl von Syrern im Ausland lebe und keine gültigen Ausweispapiere habe. Hunderttausende Menschen sind vor dem Bürgerkrieg aus Syrien geflohen.
Nach Angaben der Wahlkommission bewarben sich 1578 Kandidaten um einen Sitz im Übergangsparlament. Nur 14 Prozent der Bewerber seien Frauen. Das Mandat der künftigen Abgeordneten ist nach einer Begrenzung von 30 Monaten verlängerbar.
Gemäß den Kriterien dürfen die Kandidaten keine „Anhänger des früheren Regimes“ von Assad sein. Zudem dürfen sie sich nicht für eine Abspaltung von Regionen oder gar eine Teilung des Landes einsetzen. Einer im März verkündeten Übergangsverfassung zufolge soll das neue Parlament bis zur Verabschiedung einer dauerhaften Verfassung und zum Abhalten von Neuwahlen legislative Funktionen ausüben.
Menschenrechtsorganisationen warnen vor der Machtkonzentration in den Händen von al-Scharaa. Der islamistische Übergangspräsident könne „effektiv eine parlamentarische Mehrheit aus Personen bilden, die er ausgewählt hat oder deren Loyalität er sich gesichert hat“, erklärte eine Gruppe von NGOs im September. Dies berge die Gefahr, „das für jeden echten demokratischen Prozess wesentliche Prinzip des Pluralismus zu untergraben“.
„Ich unterstütze die Regierung und bin bereit, sie zu verteidigen, aber das sind keine richtigen Wahlen“, sagte Louay al-Arfi, ein pensionierter Beamter in Damaskus, der Nachrichtenagentur AFP. „Das ist eine Notwendigkeit in der Übergangsphase, aber wir wollen danach Direktwahlen.“
Das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bezeichneten in einer gemeinsamen Erklärung die Wahl der Nationalversammlung als einen „ersten wichtigen Schritt zu mehr politischer Teilhabe“. Es verdiene Anerkennung, dass „nur wenige Monate nach dem Ende des Bürgerkriegs ein politischer Prozess begonnen hat, der auf Teilhabe und institutionellen Wandel setzt“.
Wichtig sei jedoch, „dass die Menschen in ganz Syrien an der Wahl teilnehmen können“, erklärten die beiden Ministerien. „Deshalb muss das Auswahlverfahren für die Nationalversammlung dort nachgeholt werden, wo es bisher noch nicht stattgefunden hat – in den Gouvernements Hasaka, Rakka und Suwaida.“
Assad war Anfang Dezember 2024 von der islamistischen HTS-Miliz und mit ihr verbündeten Gruppen gestürzt worden. Nach ihrer Machtübernahme lösten die neuen Behörden das syrische Parlament auf. Seit Assads Sturz hat die Sorge um die Rechte und die Sicherheit von Minderheiten in Syrien zugenommen.
Die islamistische Regierung in Damaskus ist dem Vorwurf ausgesetzt, Minderheiten wie Alawiten, Drusen oder Kurden nicht ausreichend zu schützen. Im März waren bei Massakern in den vorwiegend von Angehörigen der Alawiten bewohnten Regionen im Westen Syriens mehr als 1700 Menschen getötet worden. Bei einem Gewaltausbruch in Suwaida wurden zuletzt mehr als 1000 Menschen getötet, die meisten von ihnen Drusen.