Regierungskrise in Frankreich: Macron will sich „Verantwortung stellen“

Die Regierungskrise in Frankreich wird immer unübersichtlicher: Präsident Emmanuel Macron hat innerhalb von 24 Stunden eine neue Regierung ernannt, den Rücktritt von Premierminister Sébastien Lecornu angenommen und denselben dann mit einem letzten Verhandlungsversuch beauftragt. Zugleich erklärte Macron nach Angaben aus seinem Umfeld am Montag, sich seiner „Verantwortung zu stellen“, sollte dieser Versuch scheitern.
Was diese Aussage des Präsidenten konkret bedeuten könnte, wurde im Umfeld des Präsidenten nicht erläutert. Es gebe „zahlreiche Möglichkeiten“, hieß es. Auf die Nachfrage, ob dazu auch der mögliche Rücktritt Macrons zähle, verwies das Umfeld auf dessen bisherige Erklärungen, dass er sein Mandat bis zum Ende ausüben wolle.
Der Präsident scheint mit seiner Aussage jedoch die Option von Neuwahlen angedeutet zu haben, die er bislang immer ausgeschlossen hatte.
Den zurückgetretenen Regierungschef Lecornu beauftragte Macron, bis Mittwochabend „letzte Verhandlungen zu führen, um eine Grundlage für das Handeln und die Stabilität des Landes festzulegen“, wie das Präsidialamt mitteilte. Dies bedeute nicht, dass Lecornu wieder als Premierminister eingesetzt werde, sondern es gehe eher um Grundzüge eines Regierungsprogramm, hieß es im Umfeld des Präsidenten.
Lecornu stimmte dem Verhandlungsauftrag zu: „Ich werde dem Staatschef am Mittwochabend sagen, ob es möglich ist oder nicht, damit er dann alle nötigen Konsequenzen ziehen kann“, schrieb er im Onlinedienst X. Für Dienstagmorgen berief er bereits eine neue Beratungsrunde mit Vertretern des bisherigen Regierungslagers ein.
Lecornu hatte am Montagmorgen seinen Rücktritt eingereicht – nur wenige Stunden nachdem seine Regierung am Vorabend vorgestellt worden war. Auslöser dafür war ein Streit um die Ernennung des früheren Wirtschaftsministers Bruno Le Maire zum Verteidigungsminister. Der konservative Innenminister Bruno Retailleau hatte dies scharf kritisiert und mit seinem Rücktritt gedroht. Dies hatte wiederum Lecornu bewogen, sein Amt aufzugeben.
Unterdessen erklärte Le Maire selber, dass er auf sein Regierungsamt – das er noch gar nicht angetreten hatte – verzichten wolle. Macron habe dies akzeptiert, schrieb er am Montagabend auf X. Seine Zuständigkeit gehe wieder an den Premierminister über – der ohnehin bislang zudem Verteidigungsminister gewesen war.
Der überraschende Rücktritt Lecornus hatte heftige Reaktionen ausgelöst. Die Opposition forderte umgehend Neuwahlen und – bis ins Lager der Konservativen hinein – auch den Rücktritt Macrons. Die Krise machte sich auch an der Börse bemerkbar. Der französische Leitindex CAC 40 schloss mit 1,36 Prozent im Minus. Zugleich verteuerten sich an den Anleihemärkten die Kreditkosten des Landes.
Lecornu hatte nach seinem Rückritt erklärt, dass ein Kompromiss im Haushaltsstreit greifbar gewesen sei, „wenn manche darauf verzichtet hätten, ihre eigenen Interessen zu verfolgen“. Offensichtlich setzt Macron nun darauf, dass 48 Stunden zusätzliche Verhandlungszeit ausreichen könnten, um diesen Kompromiss noch zu finden.
Im Kern geht es darum, den Haushalt für das kommende Jahr zu verabschieden, in dem angesichts der maroden Staatsfinanzen harte Einschnitte nötig sein werden. Da die Nationalversammlung in drei miteinander verfeindete Blöcke gespalten ist, erschien eine Einigung jedoch weiterhin sehr kompliziert.
Sowohl die linkspopulistische als auch die rechtspopulistische Opposition rief am Montag zum Rücktritt des Präsidenten auf. „Wir fordern die sofortige Debatte über unseren Antrag auf die Absetzung von Macron“, erklärte der Chef der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI), Jean-Luc Mélenchon. Das Präsidium der Nationalversammlung will sich am Mittwoch damit befassen, ob über den – seit längerem eingereichten – Antrag debattiert wird.
Die Rechtspopulisten forderten eine Entscheidung des Präsidenten: „Auflösung des Parlaments oder Rücktritt“, verlangte die Partei Rassemblement National (RN). Fraktionschefin Marine Le Pen nannte Neuwahlen „die einzige vernünftige Lösung“.
Lecornus Amtszeit ist mit 27 Tagen die kürzeste eines französischen Premierministers der jüngeren Zeit. Die nächsten Präsidentschaftswahlen stehen 2027 an, Macron kann nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.
Die Bundesregierung zeigte sich gelassen. Die Handlungsfähigkeit in Europa werde durch die Regierungskrise in Frankreich nicht gefährdet, erklärte Regierungssprecher Stefan Kornelius in Berlin. Er warnte vor „Dramatisierungen“.
In Brüssel verfolgten EU-Politiker die Lage in Frankreich mit Spannung. „Ich hatte den Eindruck, eine Seifenoper zu sehen“, sagte eine europäische Diplomatin, die anonym bleiben wollte.