Gefürchtete US-Behörde: Trumps Schocktruppen: Was ist die ICE?

Eine Million Menschen will Donald Trump abschieben – pro Jahr. Vollstrecker seiner rigorosen Migrationspolitik sind die gefürchteten Agenten der Zoll- und Einwanderungsbehörde ICE.
Als der maskierte Mann aus dem Laden stürmt, stellt sich Rafie Ollah Shouhed ihm in den Weg. Der Hüne kommt in dem schmalen Gang zwar nicht an ihm vorbei, bleibt aber auch nicht stehen. Stattdessen prescht er einfach durch Shouhed hindurch – wie ein Runningback bei einem Footballspiel. Der Betreiber der Waschgarage rappelt sich sofort wieder auf, erstaunlich schnell für seine 79 Jahre. Dann eilt er hinterher.
Draußen hat der Kerl seine Beute längst geschnappt, er hält einen von Shouheds Mitarbeitern fest im Griff. Als der Senior seinem Angestellten zu Hilfe kommt, zerrt ihn ein anderer, schwer bewaffneter Mann weg. Doch der hat Probleme, den rüstigen Shouhed unter Kontrolle zu bekommen. Ein zweiter, Größerer wirft den Alten schließlich zu Boden. Dann hocken sie beide auf ihm, ein Knie in den Rücken gestemmt, ein Dritter kommt dazu. Überwachungskameras nehmen alles auf.
Sie ziehen Shouhed auf die Beine, führen ihn aus dem Bild. Zwölf Stunden werden sie ihn festhalten, ohne Anklage, ohne medizinische Versorgung. Die Bilanz: mehrere gebrochene Rippen, ein verletzter, tiefblauer Ellenbogen, ein Schädel-Hirn-Trauma.
Die Männer, die den alten Amerikaner auf den Asphalt pressten, waren keine brutalen Gangster. Es waren Agenten der United States Immigration and Customs Enforcement, die sich auf ihrer Jagd nach illegalen Einwanderern von niemandem stoppen lassen. Szenen wie diese aus Los Angeles sind in den USA des Jahres 2025 keine Seltenheit. Nächtliche Razzien in Wohnblocks, maskierte Bewaffnete, die Scheiben einschlagen und Menschen aus ihren Autos zerren, Massenverhaftungen auf offener Straße. Es geistern unzählige Fotos und Videos durch das Internet, die das brutale Vorgehen der ICE dokumentieren. Die Behörde für Zoll und Einwanderung demonstriert mit dem harten Vorgehen ihre neue Macht. Einwanderer, ob legal im Land oder nicht, fürchten sich vor den unnachgiebigen Vollstreckern von Donald Trumps hartem Abschiebekurs.
Was ist die ICE? Und: Was darf sie?
Was ist die Aufgabe der ICE?
Nach den Terroranschlägen von New York am 11. September 2001 tobte in den USA eine hitzige Debatte über Sicherheit. Die ICE ist eine direkte Folge der neu entfachten Angst vor Fremden. Die Behörde wurde 2003 als Teil des neu geformten Heimatschutzministeriums gegründet und vereinte die Aufgaben der zuvor dem Finanzministerium unterstellten Zoll- und der bis dato im Justizministerium angesiedelten Einwanderungsbehörde.
Die ICE unterteilt sich in vier Stränge. Die beiden entscheidenden Abteilungen: die ERO (Enforcement and Removal Operations), die illegale Einwanderer aufspürt und abschiebt, und die HSI (Homeland Security Investigations), zuständig für die Ermittlung und Zerschlagung krimineller Organisationen, die wiederum US-Einwanderungs- und Zollgesetze verletzen – zum Beispiel Drogenkartelle und Menschenhändler.
Die ICE ist für die Durchsetzung von mehr als 400 Bundesgesetzen innerhalb der USA verantwortlich. An den Grenzen sowie an Flug- und Seehäfen hat die Schwesterbehörde CBP (Customs and Border Protection) das Sagen.
Wer leitet die ICE?
Todd Lyons. Der ICE-Veteran ist seit Anfang März Direktor. Er will die ICE wie ein Geschäft leiten, „wie [Amazon] Prime, aber mit Menschen“.
Eine wichtige Rolle spielt auch Tom Homan, besser bekannt als der „Grenzzar“. Der Hardliner hatte sich in Trumps erster Amtszeit einen Namen gemacht, als er in seiner Rolle als ICE-Chef Kinder illegaler Einwanderer von ihren Eltern trennte. Homan gilt als einer der Mitgestalter des ominösen „Project 2025“, einem Plan zur autoritären Umgestaltung der USA.
Wie hoch ist das ICE-Budget?
Während Trump die Mittel unlieb- und unbeugsamer Behörden massiv kürzt oder sie gar ganz einstampft, erlebt die ICE eine buchstäblich goldene Ära. Das bisherige Jahresbudget von rund acht Milliarden Dollar ist dieses Jahr auf fast 29 Milliarden Dollar gestiegen. Nach eigenen Angaben hat die ICE derzeit mehr als 20.000 Mitarbeiter – 10.000 sollen hinzukommen.
In seinem mit Ach und Krach im Sommer verabschiedeten Steuergesetz, der „Big Beautiful Bill“, hat Trump die Behörde sehr wohlwollend bedacht. 170 Milliarden Dollar will er binnen vier Jahren in den Grenzschutz pumpen – ein Budget, größer als das aller lokalen und bundesstaatlichen Strafverfolgungsbehörden zusammen. 75 Milliarden Dollar davon fließen direkt in die ICE. Laut einer Analyse des gemeinnützigen Rechtsinstituts Brennan Center for Justice sieht der Plan enorme Summen für Razzien, Haftanstalten und Abschiebungen, aber kaum zusätzliche Mittel für ein funktionierendes Migrationssystem vor – wie zum Beispiel mehr Richter. „Das Ergebnis wird eine einseitige, ausschließlich auf Strafverfolgung ausgerichtete Maschinerie sein“, heißt es in dem Bericht.
Wie viele Menschen schiebt die ICE ab?
„Mindestens“ 75 Menschen pro Tag soll jede der 25 ICE-Außenstellen festnehmen – „aber hoffentlich bald mehr“, hatte Trumps Stabschef Stephen Miller im Januar in Aussicht gestellt. Im Sommer korrigierte er dann nach oben, sprach von mehr als 3000 Festnahmen täglich – und einer Million Abschiebungen pro Jahr. Zum Vergleich: 2024 hat die ICE rund 270.000 Menschen abgeschoben – ein Zehnjahresrekord.
Laut einer Recherche des US-Senders NBC hatte die ICE Ende September rund 59.000 Menschen in Gewahrsam – jeder vierte davon war weder wegen eines Verbrechens verurteilt, noch angeklagt. Die Bedingungen in den Haftanstalten („Detention Center“) beschrieben Experten in internen Dokumenten schon in Trumps erster Amtszeit als „barbarisch“. Wie der von Trump massiv zusammengekürzte öffentliche Radiosender NPR berichtet, haben sich die Haftbedingungen seitdem sogar noch weiter verschlechtert – viele der mehr als 100 Lager seien verschmutzt und hoffnungslos überfüllt, die medizinische Versorgung sei katastrophal. Dieses Jahr seien schon 15 Menschen im ICE-Gewahrsam gestorben.
In Zukunft soll die ICE 100.000 Menschen zur selben Zeit festhalten können. 45 Milliarden Dollar macht Washington dafür locker, auch der Bau von Einrichtungen speziell für Familien ist geplant. Die neuen „Detention Center“, so das Brennan Center for Justice, würden am Ende von Privatunternehmen gewinnorientiert betrieben – was eine Verbesserung der Haftbedingungen unwahrscheinlich macht.
Darf die ICE das überhaupt?
Seit Trumps erneuter Machtübernahme ist die ICE mächtiger als je zuvor. Doch auch wenn es derzeit fast so wirkt, als hätte die Behörde einen Blankoscheck aus dem Weißen Haus bekommen, ist sie nicht allmächtig. Noch entscheidet ein Gericht, ob ein Immigrant abgeschoben wird oder nicht.
Trumps Clou: Das gilt nicht für Menschen, die erst kürzlich auf illegalem Wege in die USA kamen. Die kann die ICE einkassieren und per beschleunigtem Abschiebeverfahren eigenmächtig in einen Flieger setzen. Der US-Präsident hat diese für Einwanderer gefährliche Zeitspanne von ursprünglich zwei Wochen auf zwei Jahre ausgeweitet, was Abertausende aus ICE-Sicht im Grunde zu Vogelfreien macht.
ICE-Agenten – Trumps Geheimpolizei?
Sinnbild der neuen Härte sind die ICE-Agenten selbst: Jeans, enges T-Shirt, Baseball-Cap, die Skimaske bis unter die Augen hochgezogen. Seit Trump wieder im Oval Office sitzt, sind die Beamten äußerlich kaum von jenen ausländischen Bandenmitgliedern zu unterscheiden, auf die es Washington angeblich abgesehen hat.
Bei ihren Einsätzen gehen die Agenten im Schutz ihrer vermeintlichen Anonymität Berichten zufolge mit äußerster, teils übermäßiger Härte vor. Inzwischen dürfen ICE-Agenten auch Razzien in bisher geschützten Bereichen wie Kirchen, Schulen oder Krankenhäusern durchführen. Dabei sind sie genau genommen keine Polizisten, haben als Bundesbeamte aber ähnliche, teils sogar weitreichendere Befugnisse. Wie weit die genau reichen, ist unklar – sie testen ihre Grenzen aus. Zum Beispiel brauchen ICE-Agenten eigentlich einen „individuellen“ Verdacht, um eine Person festzuhalten – und sei es nur für eine Minute. „Eigentlich“, weil sie Verdächtige mittlerweile häufig erst einkassieren und dann die Fragen stellen.
Wie es der auf autoritäre Regime spezialisierte Politikwissenschaftler Lee Morgenbesser von der australischen Griffith Universität in einem Beitrag für das Nachrichtenportal „Conversation“ zusammenfasst: „Obwohl die ICE angeblich immer noch an verfassungsrechtliche Grenzen gebunden ist, weist ihre Arbeitsweise die Merkmale einer sich im Aufbau befindlichen Geheimpolizei auf.“ Und sie hat gerade erst begonnen.