Grüne Jugend wählt neue Spitze: Jette Nietzard tritt ab – und die Grünen hoffen, zumindest noch

An der Spitze des Jugendverbandes hat Jette Nietzard die Grünen zur Verzweiflung getrieben, nun tritt sie ab. Wie schlimm wird es mit den Neuen?
Bei den jungen Grünen haben Klamotten mit Slogans Hochkonjunktur. Die Pullis ziert hier „Tax the rich“, die Schildmützen „Antifa-Lover“, die T-Shirts wahlweise „Climate Justice Now“, „FCK AfD“ oder „FCK NAZIS“. Ein junger Grüner mit „Solidarität grenzenlos“-Tasche springt vor Begeisterung auf und ab, als er eine Bekannte begrüßt. Ein anderer, der sich pinke Herzen in die kurzrasierten blondierten Haare gefärbt hat, lässt sich neben einem mit „Mehr Liebe“-Pulli auf einen Stuhl fallen. Andere haben sich für „Make Polluters pay“ entschieden, für „St. Pauli“ – und: „Räuchertofu“.
Bei der Grünen Jugend also nichts Neues, als sie sich am Wochenende in Leipzig versammelt: Der Jugendverband der Grünen steht ziemlich weit links, findet die Welt notorisch ungerecht, den Kapitalismus blöd und die grüne Partei in der Konsequenz zu mittig.
Nur ein „ACAB“ („All Cops Are Bastards“) lässt sich hier nirgendwo entdecken. Zu heikel? Weil sie einen Pulli mit einem solchen Aufdruck trug, hatte die nun scheidende Co-Chefin Jette Nietzard vor wenigen Monaten über Tage die Debatte im Land dominiert und deutliche Verurteilungen aus der Mutterpartei kassiert.
Nicht zum ersten Mal. Während des einen Jahres, in dem sie gemeinsam mit Jakob Blasel an der Spitze der „GJ“ stand, hat sie oft für Empörung nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch bei grünen Funktionsträgern gesorgt, sei es, als sie in Frage stellte, ob die Unschuldsvermutung in einer Partei gelten müsse, als sie am Neujahrstag schrieb, dass Männer, die ihre Hand beim Böllern verloren, immerhin keine Frauen mehr schlagen könnten, oder als sie Christian Lindner beim FDP-Ausscheiden aus dem Bundestag mitgab, dass sie sich freue, dass er seiner Frau eine Karriere ermögliche.
Jette Nietzard tritt kämpferisch ab: Bin niemandem „in den Arsch“ gekrochen
Nun tritt das „Enfant Terrible“ der Grünen ab – im knallroten Einteiler (ohne Aufdruck) absolviert die 26-Jährige ihren letzten Tag in der Funktion. Ist es ihr zu kalt, zieht sie eine Jacke über, mit der ihr „FRANCE“ auf dem Rücken prangt. Was hat das nun wieder zu bedeuten, wandert sie ins Nachbarland aus? Nein, so weit ist es nicht, sogar in der Grünen Jugend will sie bleiben.
Und das, obwohl sie ihren Verband nicht unbedingt in ruhigere Fahrwasser brachte, nachdem der vorherige Vorstand überraschend und mit großem Knall ausgetreten war (weil ihnen die Grünen nicht links genug waren). Dass es nicht ruhiger wurde, lag nicht nur daran, dass Nietzard Sprüche in den sozialen Medien losließ, sondern auch, weil die Zusammenarbeit mit ihrem Co-Sprecher Jakob Blasel nicht funktionierte – der sich zwar nie öffentlich gegen sie stellte, der aber mit Nietzards Strategie der Provokationen nur wenig anfangen konnte. Am Tag vor dem Zusammentreffen des grünen Nachwuchses veröffentlicht der „Spiegel“ einen Artikel, wonach Nietzard einen harten Kampf gegen Blasel geführt haben soll, Verantwortungsträger aus mehreren GJ-Landesverbänden werfen Nietzard dort anonym „Machtmissbrauch“ und „Mobbing“ vor.
Trotzdem bekommt sie nach ihrer Abschiedsrede einiges an Applaus. Die meisten stehen auf, einige bleiben aber auch sitzen. Sie habe ihr Versprechen gehalten, „niemanden in den Arsch zu kriechen“, sagte sie auf der Bühne. Schweigend könne man nichts erkämpfen. Und schloss mit dem Appell, sich untereinander zu verbünden und Ketten zu bilden. „Ketten, um euch dem Faschismus entgegenzustellen, Abschiebeflüge zu verhindern, und vielleicht Männer anzuleinen – we will see.“
Hätte Nietzard nicht die gesamte Aufmerksamkeit absorbiert …
Mehr Applaus aber bekommt eindeutig ihr Co-Vorsitzender Jakob Blasel bei seiner Verabschiedung. Der 24-Jährige bekannte Klimaaktivist macht mehr inhaltliche Punkte. Ihn mache wütend, wie die Grünen absehbar in die Situation gelaufen seien, dass sie bei der vergangenen Bundestagswahl bei jungen Leuten so schlecht abgeschnitten haben, er spricht über den seiner Meinung nach „rassistischen Zehn-Punkte-Plan“ der Grünen zur Migration in der Endphase des Wahlkampfs, und davon, dass Klimaschutz zwar eine soziale Frage sei, aber dass man Verbrenneraus und Heizungsgesetz nur einfordern könne, wenn klar sei, wer dafür bezahle. Er spricht von einer „Feigheit“ der grünen Politik, die sich nicht mehr traue, sich mit den wahren Verursachern der Krisen anzulegen. All diese Punkte quittiert der Saal mit viel Applaus.
Was die Frage aufwirft: Welche Grüne Jugend wäre das im letzten Jahr gewesen mit einem Jakob Blasel, hätte nicht Jette Nietzard die komplette Aufmerksamkeit absorbiert? Trotz seiner deutlichen inhaltlichen Kritik hätte es wohl einen produktiveren Austausch mit der Mutterpartei gegeben. Trotzdem ist während der Nietzard-Blasel-Zeit eines gelungen: Nachdem die Grüne Jugend 2023 und 2024 geschrumpft war, hat sie zuletzt wieder deutlich an Mitgliedern gewonnen, von 16.000 Mitgliedern zu Beginn des Jahres wuchs die Zahl nun auf knapp 19.000 an.
Henriette Held und Luis Bobga neu an der Spitze: „Wieder auf links drehen“
Jetzt sind zwei Neue dran: Am Samstag wählt die Grüne Jugend Henriette Held und Luis Bobga zu ihren beiden neuen Bundessprecherinnen. Was ist zu erwarten? Beide betonen, dass sie mit den derzeitigen Grünen nicht zufrieden seien. „Egal ob mit Bauchschmerzen oder ohne“, sagt die 23-jährige Held, die bislang Landessprecherin in Mecklenburg-Vorpommern war: „Am Ende haben sich zu oft für Macht und gegen Haltung entschieden.“
„Er habe aber die Hoffnung noch nicht verloren“, sagt der 23-jährige Bobga, der bereits zuvor im Vorstand der Grünen Jugend war: „Wir können, und wir werden diese Partei wieder auf links drehen.“ Er erwarte von der grünen Partei, dass sie „nie wieder rechten Diskursen“ folge und „nie wieder menschenfeindliche Asylkompromisse“ mittrage.
Aber es wird auch klar: Dass die Grünen nicht mehr Regierungspartei, sondern Opposition sind, hat hier einiges entschärft. Die Grüne Jugend will nun vornehmlich erreichen, dass Fragen der Umverteilung von den Grünen stärker thematisiert werden, sie müssten „endlich ins Zentrum grüner Politik“, sagt Bobga. Auch beim Thema Wehrpflicht wollen sie eine klare Positionierung der Mutterpartei. Mit dem Claim „Wehrdienst – Nein Danke“ machen einige Fotos vor einer rosa Wand. Dass der Realo Cem Özdemir, der die Grünen in Baden-Württemberg im Wahlkampf führt, kürzlich ein allgemeines Dienstjahr, ein sogenanntes „republikanisches Jahr“ forderte, gilt hier vielen als Affront.
In der Bundespartei gibt es zumindest die Hoffnung, dass man mit Held und Bobga an der Spitze des Parteinachwuchses nun endlich wieder mehr Glück hat. Er hoffe, dass es gelinge, auch in schwierigen Zeiten das Gemeinsame zu sehen, sagt der Parteivorsitzende Felix Banaszak, der aus Berlin nach Leipzig gekommen ist. Wo ihm, während seiner gesamten Rede, ein großes Transparent entgegenprangt: „Felix, bitte links abbiegen.“ Nach dem letzten Jahr ist das sicher eine Art der Auseinandersetzung, die der Parteichef noch ertragen kann. Vielleicht hatte er Schlimmeres erwartet. Immerhin steht da sogar „bitte“.