CDU-Debatte: So argumentieren die Befürworter eines neues AfD-Kurses

Jenseits der Brandmauer steigt und steigt die AfD. Zeit für einen neuen Kurs gegen die Partei? Das steckt hinter den Forderungen aus der Union.
Für die Union könnte es die Schicksalsfrage schlechthin sein: Wie geht man um mit der neuen Stärke der in Teilen rechtsextremistischen AfD? Die Antwort darauf könnte über die Existenz der CDU als Volkspartei mitentscheiden.
Im stern haben sich einflussreiche ehemalige Unionsleute zuletzt gegen die Fortführung einer knallharten Ausgrenzung der Partei ausgesprochen, gegen eine Verteufelung der Partei und ihrer Wähler. Dazu gehören Ex-Generalsekretär Peter Tauber und Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, aber auch der frühere Vorsitzende der Grundwerte-Kommission, Andreas Rödder.
Um eine Koalition mit der AfD geht es allen nicht, auch nicht um eine politische Annährung. Aber was wollen sie dann? Und was unterscheidet ihre Vorschläge?
Ex-Generalsekretär Peter Tauber
Selbst in der Partei hat es viele überrascht, dass sich der 51 Jahre alte Historiker derart deutlich für einen neuen Umgang ausspricht. Seit Wochen macht ein Video einer Diskussion Taubers mit dem Historiker Per Leo die Runde. Darin diskutieren beide über den richtigen Umgang mit der in Teilen extremistischen AfD, Leo fordert ein Ende der Brandmauer und Tauber widerspricht nicht.
Im stern erklärt Tauber nun, warum: „Alle Parteien müssen sich längst über einen neuen Umgang mit der AfD unterhalten, nicht nur die Union.“ Jedes Thema werde in Abhängigkeit von der AfD debattiert, stattdessen müsste Politik wieder stärker aus sich heraus nachdenken. „Ausgangspunkt jeder Überlegung muss doch die eigene Haltung sein und nicht der Standpunkt einer Partei, die bis heute keinen Beitrag zum Gelingen geleistet hat.“
Tauber besorgt die Stärke der AfD, die inzwischen in nahezu allen Umfragen vor der Union liegt. Er glaubt: „Die derzeitige Stigmatisierung hilft der AfD nur noch“, sagt Tauber. „Der Eindruck „Alle gegen die AfD“ muss vermieden werden. Der Ex-Generalsekretär der CDU plädiert daher für eine „neue Politik der roten Linien“ statt einer Brandmauer. Diese müsse es dann aber auch erlauben, „Beschlüsse zu fassen, denen die AfD zustimmt“.
Tauber fürchtet, dass es sonst zu unregierbaren Verhältnissen kommt. Im Bund, in Ländern und Kommunen. „Es droht sonst eine parlamentarische Blockade“, mahnt der CDU-Mann. „Wie soll es gerade im Osten noch zu nachvollziehbaren Mehrheiten kommen? Gerade dort fühlen sich die Leute zunehmend an die Blockbildung zu DDR-Zeiten erinnert.“
Der CDU-Politiker weiß, wie heikel sein Vorschlag ist und das es viele in der Union gibt, die es anders sehen. Er nimmt deshalb die gesamten Parteien der Mitte in die Pflicht. Alle müssten sich auf einen neuen Umgang mit der AfD einigen, der sie von Koalitionen ausgrenzen mag, harte Kritik ermöglicht, aber den Wählern nicht länger das Gefühl gibt, dass die Partei außerhalb des politischen Systems steht.
Tauber sagt es so: „Es müsste mit einer grundsätzlichen Vereinbarung zwischen den anderen Parteien flankiert werden, sodass nicht bei jedem Beschluss, der mit Stimmen der AfD zustande kommt, die Nazikeule geschwungen wird.“ Das wäre schwierig, das sehe er, aber es würde letztlich allen helfen. Tauber betont: „Die Union ist Hauptgegner der AfD.“ Wenn es die CDU nicht mehr gibt, hält diese Partei niemand sonst auf. Es ist auch ein Appell an alle anderen: Wir schaffen das nicht ohne euch.
Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg
Auch zu Guttenberg war einmal Generalsekretär, und zwar der CSU. Er warnt ebenfalls vor einem Boykott der Partei und ihrer Wähler, will aber am Kooperationsverbot mit den Extremisten festhalten. Ihm geht es um eine offenere, mutigere Auseinandersetzung mit der AfD: „Das gilt nicht nur für die Union, es gilt für alle Parteien der Mitte, auch für Medien und Gesellschaft“, sagt er in einem Interview mit dem stern. „Entzauberung gelingt nicht durch Boykott.“ Es brauche die inhaltliche Konfrontation. „Wovor haben wir Angst? Bei vielen AfD-Funktionären handelt es sich um intellektuelle Flachwurzler.“
Eine Zusammenarbeit mit der AfD wäre für ihn nur dann denkbar, wenn diese Extremisten und Neonazis aus der Partei schmeißen würde. „Solange eine AfD solchen Leuten eine Heimat gibt, muss dieser Unvereinbarkeitsbeschluss Bestand haben“, sagt er. Trotzdem müsse man sich mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse nach den Wahlen im Osten der Republik auf einen „Plan B“ vorbereiten. „Wenn es keine stabile Option gibt, sollte man bei einer Ministerpräsidentenwahl auf einen Plan B vorbereitet sein.“
Zu Guttenberg meint damit etwa ein Modell wechselnder Mehrheiten: Das kann von der AfD abhängen, aber auch von der Linkspartei. Das Kooperationsverbot mit letzterer sei ohnehin längst aufgeweicht, meint er.
Ex-Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolf
Die 72 Jahre alte Juristin wurde einst von der SPD zur Verfassungsrichterin berufen. Umso erstaunlicher ist die Offenheit, in der die Juristin die bisherige Politik einer Brandmauer für gescheitert erklärt, weil es die AfD in eine unfassbare Machtposition hieve. „Meiner Meinung nach hat es keinen Sinn, auf Entscheidungen, die man für vernünftig hält, prinzipiell deshalb zu verzichten, weil man eine Mehrheit dafür nur mit Unterstützung der AfD bekommt“, sagt Lübbe-Wolf. „So viel Macht darf man einer Partei, und erst recht einer Partei, die man ablehnt, nicht geben.“
Die Brandmauer führt laut Lübbe-Wolf dazu, dass die Politik den Rechtsruck in der Wählerschaft nicht ausreichend nachvollziehen kann. Was die Menschen frustriere. „Ich fürchte, dass diese Politik nur zur Stärkung der AfD führt“, sagt die Juristin. „Die Wähler sind nach rechts gerückt, und die Brandmauer führt dazu, dass die Politik diese Bewegung nicht wirklich nachvollzieht.“ Wo man eine Zweidrittelmehrheit brauche, wie bei der Wahl von Verfassungsrichtern und bei Verfassungsänderungen, führe die Brandmauer tendenziell sogar zu einem weiteren Schub nach links, weil man die Mehrheit nur noch weiter links findet als bisher.
Der Juristin geht es demnach vor allem um eine Repräsentation der Wählerschaft. Darauf weist auch Unionsfraktionschef Jens Spahn immer wieder hin: Die Mehrheit im Land wähle Mitte-Rechts, sie bekäme aber eine Mitte-Links-Politik. Mancher in der Partei fürchtet, dass dies einmal die Argumentation für eine Minderheitsregierung unter Tolerierung der AfD werden könnte.
Historiker Andreas Rödder
Er trat einst von seinem Job als Chef der CDU-Grundwertekommission, weil er die Brandmauer zu stark in Frage stellte. Seither gilt er manchen in der CDU als Persona non grata, zuletzt wurde sein Think Tank „R21“ aber auf Wunsch von Unionsfraktionschef Jens Spahn mit einer Förderung der Bundesregierung bedacht. Ein Zeichen, dass er wieder an Einfluss in der Partei gewinnt?
Rödder argumentiert schon lange für „rote Linien“ zur AfD. Er glaubt, dass die Brandmauer die Partei stärke. „Je höher man die Brandmauer gezogen hat, desto stärker ist die AfD geworden“, sagt der Historiker. Es brauche „eine konditionierte Gesprächsbereitschaft diesseits der ‚Brandmauer‘“, sagte er. „Wenn die AfD rote Linien einhält und sich klar von rechtsextremen Positionen und Figuren abgrenzt, ist es den demokratischen Versuch wert, das Gespräch zu suchen und eine harte Auseinandersetzung in der zu Sache führen.“
Es geht Rödder und anderen darum, die AfD weiter in die Mitte zu treiben, dadurch womöglich koalitionsfähig zu machen. Als Beispiel wird in Gesprächen oft die Partei der Italienerin Georgia Meloni genannt, Fratelli d’Italia. Diese, so das Argument, hätte sich durch die Regierungsbeteiligung von extremistischen Elementen eher entfernt.
Doch in der CDU-Parteiführung wird gern ein nahezu übermächtiges Gegenargument vorgebracht: Fast überall in Europa, wo sich konservative Parteien einer populistischen oder extremistischen Kraft öffneten, verloren sie an Stärke, verschwanden teils. Etliche in der CDU-Führung halten eine Öffnung deshalb für geradezu selbstmörderisch.
Nach stern-Informationen will sich die CDU-Führung am Sonntag auch über den Umgang mit der AfD austauschen. Die Parteiführung macht sich seit Längerem Gedanken, wie man den Aufstieg der extremistischen Partei stoppen kann. Auch dort wird über neue Wege diskutiert werden.