Analyse: Merz und die AfD: Diesen wichtigen Fragen weicht der Kanzler aus

Der Kanzler erklärt die AfD zu seinem Hauptgegner. Wie genau die CDU in den Kampf ziehen will, wird nicht klar. Über einen Auftritt, der mal wieder Raum für Spekulationen lässt.
Die Sätze sollten wohl möglichst markig klingen. Und sie waren es auch. „Diese Partei will die CDU erklärtermaßen zerstören“, sagte Friedrich Merz. Der Kanzler und Parteivorsitzende stand am Montagmorgen im Berliner Konrad-Adenauer-Haus – und redete wieder einmal über die AfD. „Sie will ein anderes Land“, sagte er. „Die von der AfD immer wieder bemühte ‚ausgestreckte Hand‘ ist in Wahrheit eine Hand, die uns vernichten will.“
Die AfD, so Merz, werde deshalb auf „unseren härtesten Widerstand“ stoßen. Und am Ende der Pressekonferenz bekräftigt er noch einmal: „Wir werden uns von diesen Leuten nicht zerstören lassen.“
Das klang, für sich genommen, alles ziemlich eindeutig. Dennoch dürfte nach dem Auftritt des CDU-Vorsitzenden die Debatte nicht beendet sein. Eher im Gegenteil. Nicht nur, dass Merz vielen Fragen auswich. Seine Antworten öffneten, unfreiwillig oder nicht, neuen Raum für Spekulationen.
CDU debattierte taktische Öffnung zur AfD
Am Sonntag hatte sich die Spitze der CDU zur Klausur zurückgezogen, abgeschieden im Berliner Grunewald. In einem hübschen Hotel an der Havel sollte es darum gehen, die Partei neu aufzustellen, vor allem in Richtung der AfD. Fast acht Stunden saß man zusammen, um darüber zu reden, wie man möglichst gut durch die nächsten Landtagswahlen kommt, um im Entscheidungsjahr 2029 stabil dazustehen.
Viel war darüber debattiert worden, was auf eine taktische Öffnung in Richtung AfD hinauslaufen würde, vor allem intern, aber auch teilweise öffentlich. Für die größte Aufmerksamkeit sorgte dabei die Forderung des ehemaligen, als liberal geltenden CDU-Generalsekretärs Peter Tauber im stern, nicht immer nur die „Nazi-Keule“ zu schwingen, sondern parlamentarische Mehrheiten bei bestimmten Themen zuzulassen.
Die Aufregung in der CDU, aber auch beim Koalitionspartner SPD, wirkte gewaltig. Dabei war das sogar schon in der Praxis vorgekommen. Schließlich hatte die CDU aus der Opposition heraus im Jahr 2023 im Thüringer Landtag und im vergangenen Januar auch im Bundestag gemeinsame Beschlüsse mit der AfD gefasst.
Dennoch, so heißt es aus dem Präsidium, habe diese Forderung am Sonntag keine Rolle gespielt. Das liegt auch daran, dass die CDU inzwischen nicht nur im Bund an der Macht ist, sondern auch in Thüringen. Es gibt derzeit kein deutsches Parlament, in dem sie eine gemeinsame Sitzmehrheit mit der AfD gegen eine Regierung besitzt.
„Wir haben jetzt mit der SPD zusammen im Deutschen Bundestag eine Mehrheit“, erklärte denn auch Merz, als er am Montag darauf angesprochen wurde. „Und deswegen stellt sich diese Frage nicht.“ Man strebe keine gemeinsamen Mehrheiten an („ausdrücklich Nein“). Der Abgrenzungsbeschluss gegenüber AfD und Linke gelte („Wir werden daran nichts ändern“). Und wer etwas anderes sage, gehöre einer Minderheit an („wenige Randfiguren“).
Auch die Idee, der AfD harte Bedingungen für eine mögliche Zusammenarbeit zu stellen, um sie innerlich zu spalten, wurde in dem Seehotel im Grunewald dem Vernehmen nach nicht angesprochen. Stattdessen herrschte Einigkeit, dass die Union, die den Bundeskanzler, die Hälfte der Ministerpräsidenten und die Mehrheit der kommunalen Amtsträger stelle, endlich aus der Defensive finden müsse. Die Partei will nun in die Offensive gehen. Motto: Wir oder die!
Die Beerdigung der „Brandmauer“ – als Begriff
Deshalb, und das ist zumindest halb neu, soll der Begriff der „Brandmauer“ endgültig beerdigt werden. Denn er klingt nun mal nach Abwehr, nicht nach Angriff. Als also Merz am Montag nach dem Begriff gefragt wird, antwortet er: „Es ist Ihnen möglicherweise aufgefallen, dass weder der Generalsekretär noch ich das Wort Brandmauer verwendet haben“, sagte Friedrich Merz am Montagvormittag.
Und um die Botschaft deutlicher zu machen, biegt sich dieser Kanzler die Wirklichkeit wieder einmal bis zur Unkenntlichkeit zurecht. „Das ist nicht unser Sprachgebrauch“, behauptet er. „Das war er nicht, und das ist er nicht.“
Zur Erinnerung: Kurz bevor er 2022 im dritten Anlauf zum CDU-Vorsitzenden gewählt wurde, stellte er in aller Klarheit in Aussicht: „Mit mir wird es eine Brandmauer zur AfD geben“.
Das neue Buzzword lautet „Hauptgegner“
Damit hatte er den Begriff für sich vereinnahmt, der jetzt nicht mehr genannt werden soll. Das neue Buzzword für Merz lautet „Hauptgegner“. Dieser Begriff, referierte er, habe ja schon im Bundestagswahlkampf in der Auseinandersetzung mit den Grünen funktioniert. „Und ich kann jedem nur raten, es ernst zu nehmen“, fügte er an. „Wenn wir jemanden als Hauptgegner bezeichnet, dann bekämpfen wir ihn wirklich.“
Einmal abgesehen davon, dass er damit die Grünen mit der AfD zumindest auf strategischer Ebene gleichsetzt: Wie soll die neue Offensivstrategie bitteschön funktionieren? Dass die CDU die AfD „inhaltlich stellen“ will, ist nicht neu, so sehr sich Merz auch um genau diesen Eindruck bemüht.
Hört man sich in der CDU um, dann soll die Klausur tatsächlich der Start eines womöglich finalen Kampfes gegen die AfD sein. Dazu gehört: ihren Extremismus benennen und notfalls skandalisieren. Weiter AfD-Themen wie Migration oder Patriotismus besetzen. Und vor allem: stets angreifen, nie zurückweichen.
Der Rest ist Hoffnung, auf eine Erholung der Wirtschaft, ein Ende der Kriege und eine im Ergebnis bessere Stimmung, am besten bereits im kommenden Landtagswahljahr.
Merz lässt Spielraum für Interpretation
Doch was, wenn das nicht funktioniert – und stattdessen das AfD-Dilemma 2026 nur noch größer wird? Was ist, wenn es zum Beispiel in Sachsen-Anhalt gegen die AfD keinerlei Mehrheit mehr gibt oder – womöglich noch unangenehmer für die Union – nur eine mit Hilfe der Linken?
Als Merz diese Frage gestellt wird, sagt er nicht nur, dass die CDU alle Landtagswahlen gewinnen und den Regierungsauftrag haben wolle. Sondern er sagt auch: „Und dann entscheiden wir darüber, wie eine solche Regierung zustande kommt.“ Denn: „Die Frage, was wäre wenn, die beantworten wir am Tag nach den Wahlen und nicht vorher.“
In Friedenszeiten wären das Standardsätze, wie sie Parteivorsitzende gerne sagen. Doch in Zeiten des neu beschworenen Kampfes klingen sie: mindestens interpretationsfähig.