Chronische Schmerzen: Cannabismedikament gegen Rückenschmerzen: Grün ist die Hoffnung

Ein Cannabisextrakt, entwickelt von deutschen Forschern, linderte in einer großen Studie chronische Rückenschmerzen. Gibt es bald ein neues Medikament für Schmerzpatienten? 

VER-01 heißt die Hoffnung aus München. Es soll Menschen mit chronischen Rückenschmerzen Linderung verschaffen und das ohne schwere Nebenwirkungen, die viele Schmerzmittel mit sich bringen können. So zumindest das vollmundige Versprechen. 

Hinter dem bislang schlichten Namen verbirgt sich eine Wirkstoffkombination, gewonnen aus der Cannabispflanze, entwickelt vom süddeutschen Biopharmaunternehmen Vertanical für die Behandlung von Schmerzen

Die Arzneien für das Medikament stammen aus der Blüte der weiblichen Hanfpflanze, genauer gesagt aus den Harzdrüsen, den sogenannten Trichomen. Denn in ihnen verstecken sich die wichtigsten Cannabis-Wirkstoffe – das psychoaktive und rauscherzeugende THC etwa, aber auch CBD, das Cannabidiol, genauso wie unterschiedliche Flavonoide und Terpene. Die sekundären Pflanzenstoffe in den Blüten sind unter anderem für Farbe, Geruch und Geschmack von Cannabis verantwortlich. Sie können aber auch eine beruhigende und stark schlaffördernde Wirkung haben und depressive Gefühlszustände lindern. 

Ein Forschungsteam um Matthias Karst von der Medizinischen Hochschule Hannover hat das neue Mittel mit seinen Kollegen nun an 66 Zentren in Deutschland und Österreich gegen das Rückenleid getestet.

Herkömmliche Schmerzmittel haben ernsthafte Risiken

Die Erwartungen waren hoch, schließlich leiden mehr als eine halbe Milliarde Menschen weltweit an chronischen Rückenschmerzen, die eine der Hauptursachen für Behinderungen und eine verminderte Lebensqualität sind. Die pharmazeutischen Behandlungsmöglichkeiten beschränken sich jedoch bislang nach wie vor auf nichtsteroidale Entzündungshemmer wie Ibuprofen und Diclofenac, die langfristig ernsthafte Risiken für Herz, Kreislauf und Magen-Darm-Trakt bergen, oder auf Opioide, die schwere Nebenwirkungen haben können und stark abhängig machen.

Lange hieß es, dass Cannabispräparate bei Muskel- oder Rückenschmerzen keine überzeugenden Effekte zeigen. Das hat sich nun womöglich geändert. 

In der im Fachblatt „Nature Medicine“ veröffentlichten klinischen Phase-3-Studie hat der Cannabisextrakt chronische Rückenschmerzen ohne schwerwiegende Nebenwirkungen oder Anzeichen einer Abhängigkeit gelindert. 

Die Rückenschmerzen wurden weniger – unter einem Placebo aber auch

820 Erwachsene mit chronischen Rückenschmerzen wurden dafür untersucht. Sie alle hatten bereits wenig erfolgreich nicht-opioide Medikamente ausprobiert. Mit VER-01 erzielten die Teilnehmer nach zwölfwöchiger Behandlung dann eine Verringerung der Schmerzwerte um 1,9 Punkte. Die Bewertungsskala, die für die Einschätzung von Schmerzen entwickelt wurde, reicht von 0 (kein Schmerz) bis 10 (schlimmster, vorstellbarer Schmerz).

Zudem berichteten die Teilnehmer, dass sich ihre Schlafqualität verbessert hätte und sie sich körperlich wohler fühlten. Bei Patienten, die ein Placebo erhielten, verringerte sich der Schmerz jedoch auch – und zwar um 1,4 Punkte. 

Vertragen wurde VER-01 relativ gut, die häufigsten Nebenwirkungen waren kurzfristige Schwindelgefühle, übermäßige Schläfrigkeit (Somnolenz) und Übelkeit während der frühen Behandlungsphase. Darüber hinaus beobachteten Karst und seine Kollegen keine Anzeichen für eine Dosiseskalation, Missbrauch, Abhängigkeit oder Entzugserscheinungen.

Das sagen Experten zu den Ergebnissen

„Angesichts des großen Teils der Weltbevölkerung, der unter chronischen Rückenschmerzen leidet, ohne dass eine angemessene Linderung erreicht wird, sind diese Beobachtungen klinisch relevant“, sagt Andrea Hohmann, Professorin für Psychologie und Hirnforschung an der Indiana University Bloomington.

Etwas vorsichtiger ist da Ulrike Bingel, Leiterin der universitären Schmerzmedizin am Universitätsklinikum Essen. Vom Science Media Center befragt, sagte sie: „Die Studie ist definitiv ein Schritt in die richtige Richtung, einen Paradigmenwechsel in der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen leitet sie aus meiner Sicht aber nicht ein.“

Kommt das Mittel bald auf den Markt? 

Für bestimmte Untergruppen jedoch könnte der Effekt größer sein, so Bingel: „Natürlich verbergen sich hinter solchen geringen Unterschieden im Mittelwertvergleich auch Patienten, die individuell deutlich stärkere Verbesserungen unter dem Prüfpräparat erleben. Hier werden Subgruppenanalysen interessant, denn erste Signale aus der Studie weisen bereits darauf hin, dass Patienten mit einer größeren neuropathischen Schmerzkomponente gegebenenfalls besser von der Substanz profitieren. Das müsste aber in zusätzlichen prospektiven Studien validiert werden.“

Aktuell prüft das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine Zulassung. Fällt sie positiv aus, könnte das Medikament noch in diesem Jahr unter dem Handelsnamen „Exilby“ auf den deutschen Markt kommen.