Brandmauer-Debatte: Das passiert auf der Anti-AfD-Klausur der CDU

Die CDU diskutiert am Sonntag über einen neuen Umgang mit der AfD. Das Ziel eint alle: den Aufstieg der Partei bremsen. Über den richtigen Weg gibt es Streit.
Dieser Sonntag, der 19. Oktober, könnte sich als Schicksalstag für die deutsche Christdemokratie erweisen. In einer Klausurtagung will das CDU-Präsidium um Parteichef Friedrich Merz über den künftigen Kurs im Umgang mit der AfD beraten – abseits des Tagesgeschäfts, mit Bedacht und vor allem: höchstvertraulich.
Selbst der Ort wird dafür gewechselt. Die Parteispitze tagt nicht in der Berliner Zentrale, sondern an einem abgeschiedenen Ort im Berliner Grunewald.
Der Erwartungsdruck ist enorm – aus der Partei ebenso wie aus der Öffentlichkeit. Äußerungen von Ex-Generalsekretär Peter Tauber und weiteren Unionsvertretern im stern hatten in dieser Woche eine bundesweite Debatte ausgelöst: Ist die strikte Abgrenzung von der AfD noch zeitgemäß, oder schadet sie inzwischen mehr, als sie nützt? Die Parteiführung schweigt weitgehend. Doch an diesem Wochenende muss sie Position beziehen.
Die große Frage, wie man AfD-Wähler zurückgewinnt
Eine Schlüsselrolle spielt am Sonntag laut Parteikreisen der Psychologe und Marktforscher Stephan Grünewald. Rund eine Stunde lang wird er die Ergebnisse seiner ausführlichen Befragungen von Dutzenden AfD-Wählern vorstellen: Wann kippt jemand zur AfD? Welche Mechanismen wirken? Und wie lassen sich diese Menschen womöglich zurückgewinnen?
Im Anschluss soll das 24-köpfige Präsidium ausgiebig diskutieren. Das Ziel ist klar: den Aufstieg der AfD bremsen. Doch über den Weg dahin herrscht Uneinigkeit. Parteichef Merz hatte bereits betont, die CDU müsse sich „inhaltlich sehr viel stärker mit der AfD auseinandersetzen“ – und deutlicher aufzeigen, warum und wie genauso sie dem Land schade. Die Ergebnisse der Beratungen sollen am Montag bei einer Pressekonferenz präsentiert werden.
In der Sache zeigen sich drei Lager.
Das erste hält die bisherige Brandmauerpolitik für kontraproduktiv. Diese Gruppe, zu der auch Peter Tauber zählt, fordert eine „Politik der roten Linien“ statt pauschaler Ausgrenzung. Tauber sagt: „Die derzeitige Stigmatisierung hilft der AfD nur noch.“ Unterstützung bekommt er vor allem aus Ostverbänden und von jüngeren Parteimitgliedern. Thüringens CDU-Fraktionschef Andreas Bühl pflichtet ihm bei: Aufgabe aller Parteien sei es, der AfD „ihren Nimbus zu nehmen – durch souveräne Auseinandersetzung, nicht durch Empörungsrituale“. Gleichwohl schließt er jede Kooperation mit der AfD aus.
Bühl sagt aber auch: „Ob ein Antrag oder Gesetz richtig oder falsch ist, entscheidet sich nicht daran, wer ihm zustimmt.“ Wer das behaupte, überlasse der AfD die Deutungshoheit über jede Debatte. Es ist in etwa die Position, die Friedrich Merz noch zu Beginn des Jahres vertrat, als er die Unionsfraktion im Bundestag in eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD trieb. „Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, weil die Falschen zustimmen“, sagte Merz damals. Dieses Lager wird in der CDU stärker und wahrnehmbarer.
Heute dagegen hört sich der Parteichef anders an: Das zweite Lager, zu dem Merz zählt, plädiert für eine scharfe inhaltliche Abgrenzung zur AfD – allerdings strategisch neu gedacht. Kooperation bleibt tabu, doch Merz will die AfD offensiv stellen, sie argumentativ entlarven und so die CDU wieder in eine Position der Stärke bringen. Ein führendes Parteimitglied formuliert es so: „Wir müssen den Konflikt in die AfD hineintragen.“ Was das konkret bedeutet, ist offen – mehr öffentliche Streitgespräche? Politische Angebote, die sie nur ablehnen kann? Ein testweises Wählen von Personen, um Widersprüchlichkeiten offenzulegen?
Das dritte Lager, getragen vor allem von den Ministerpräsidenten und dem liberalen Parteiflügel um Karin Prien und Karl-Josef Laumann, warnt dagegen eindringlich vor jeder Form der Annäherung. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst spricht von einer „brandgefährlichen Nazi-Partei“, Daniel Günthers CDU in Schleswig-Holsteins drängt in Richtung eines Parteiverbotsverfahrens.
Ähnlich sieht es der Spitzenkandidat der CDU in Rheinland-Pfalz, Gordon Schnieder. „Manche wollen es offenbar nicht verstehen: die AfD ist nicht an einer Zusammenarbeit interessiert“, sagt er dem stern. Das Ziel der AfD sei die Zerstörung der CDU. Die Debatte komme „zur Unzeit“, fügte Schnieder an. In Rheinland-Pfalz wird im Frühjahr 2026 gewählt. Die Sorge bei Schnieder und anderen ist, dass jede gefühlte AfD-Annäherung der CDU insgesamt schadet. Mancher in der Partei warnt schon vor einer möglichen Spaltung.
Die Lage ist vertrackt. Spätestens im kommenden Herbst könnten in Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern Regierungsbildungen CDU-Entscheidungen erzwingen – zwischen möglichen Kooperationen mit Linkspartei oder AfD, zwischen Prinzipientreue und politischer Handlungsfähigkeit. Noch dominiert Ratlosigkeit. Wahrscheinlich werden beide Abgrenzungsbeschlüsse das Wochenende überstehen.
Fest steht: Auf Merz, Generalsekretär Carsten Linnemann und das Präsidium wartet eine lange, emotionale Sitzung – aber auch weitere schwierige Monate, womöglich Jahre. Der richtige Umgang mit der AfD ist längst mehr als eine strategische Frage – er berührt das Selbstverständnis und womöglich die Existenz der CDU als Volkspartei.
Viele in der Parteiführung hätten über die richtige Anti-AfD-Strategie gern abseits der Öffentlichkeit beraten. Im Stillen. Doch Parteichef Merz plauderte das Thema der Tagung Anfang Oktober im Fernsehen aus. „Wir werden uns einen Tag lang nur mit diesen Fragen beschäftigen“, sagte er damals im MDR. Und nun wartet eine ganze Partei auf Antworten.