Missbrauch in der Praxis: Physiotherapeut missbrauchte Patientinnen – fünf Jahre Haft

Die Patientinnen kamen mit Rückenschmerzen, Nackenproblemen oder Arthrose in die Praxis. Aber sie bekamen dort keine Hilfe, sondern wurden Opfer eines Physiotherapeuten, der sich an ihnen verging.
Zum Schluss ging das Rostocker Landgericht selbst über die Forderung der Staatsanwaltschaft hinaus: Fünf Jahre Gefängnis lautete das Urteil gegen einen Physiotherapeuten, der über Jahre hinweg in seiner Praxis Patientinnen sexuell missbrauchte, belästigte und in fünf Fällen sogar vergewaltigte. Insgesamt wurden so 17 Frauen, die Hilfe gegen Beschwerden suchten, zu Opfern. Die jüngste war 15, die älteste 83 Jahre alt.
Der 45-jährige Angeklagte habe seine Stellung als Physiotherapeut ausgenutzt und sei sich bewusst gewesen, dass die Patientinnen mit derartigen Übergriffen nicht gerechnet hätten, sagte Richter Lars Bruske. Für seine Sexualkontakte habe er den „Überraschungsmoment“ ausgenutzt. Dem Mann wurden 18 Taten zur Last gelegt, die er im Zeitraum von März 2020 bis zum März 2025 in seiner Praxis in Elmenhorst-Lichtenhagen beging. Gleich zu Beginn des Verfahrens hatte der Angeklagte die Vorwürfe vollumfänglich gestanden.
Ermittlungsverfahren schon 2019
Dem Mann wurde im Juli die Berufsbezeichnung Physiotherapeut aberkannt. Das Gericht belegte ihn darüber hinaus mit einem weitergehenden Berufsverbot für fünf Jahre. In diese Zeit darf er auch nicht in Bereichen arbeiten, in denen sich Frauen ganz oder teilweise entkleiden müssen, wie etwa in Schwimmbädern, Saunen oder Wellness-Oasen. Die Anordnung des Berufsverbotes sei angebracht, so Bruske. Schließlich sei der Angeklagte bereits 2019 durch ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Belästigung in seiner Praxis aufgefallen. Das habe ihn aber nicht von den weiteren Taten abgehalten.
Die betroffenen Patientinnen waren teils schon jahrelang in der Praxis in Behandlung, die laut Gericht sehr erfolgreich lief. Sie kamen mit Beschwerden wie Ischias, Kieferschmerzen, Rückenproblemen, Arthrose, oder Hüftschmerzen in die Praxis und erhofften sich wenn nicht Heilung, so doch Linderung. Doch für viele wurde die Behandlung zum Alptraum und zum Trauma. „Alle Geschädigten sind dabei Opfer auf Rezept geworden“, hatte es Katharina Lüth beim vorletzten Verhandlungstag formuliert. Sie vertrat vier der Frauen, die als Nebenklägerinnen an dem Prozess teilnahmen.
Die Motivlage blieb während des Prozesses im Dunkeln. Der Angeklagten hatte eine Scheidung zu verarbeiten, sah sich in einer neuen Beziehung sexuell nicht verwirklicht, konsumierte viele pornografische Videos, trank täglich Alkohol. Letztlich habe er immer mehr die Hemmung verloren, die Patientinnen in deren Intimbereich zu berühren, resümierte der Richter die Angaben des Angeklagten. Die betroffenen Frauen schämten sich, waren oft völlig verunsichert, wussten nicht, wie das Geschehene einzuordnen war und zögerte lange mit einer Anzeige. „Ich war wie gelähmt, verstummt“, sagte eine 19-Jährige. Sie habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass sie das Opfer sei und ihr Unrecht geschehen sei.
So kam das Verfahren in Gang
Die junge Frau haderte lange mit sich, ob sie Anzeige stellen sollte, bis sie es am 25. Februar tat. Drei Tage später folgte eine zweite Anzeige, dann stellte auch eine Polizistin Anzeige, die bei dem Physiotherapeuten in Behandlung war und von den anderen Anzeigen in einer Dienstbesprechung erfuhr. Es folgte eine Pressemitteilung der Polizei und weitere Opfer meldete sich. „So kam das Verfahren in seinem gesamten Umfang in Gang“, erinnerte der Richter. Der Mann wurde am 6. März festgenommen und sitzt seitdem in U-Haft.
Die Strafkammer rechnete es dem Angeklagten positiv an, dass er schon früh vollumfänglich gestand und auch allen Geschädigten je nach Tatvorwurf eine Entschädigung zahlte. Insgesamt belief sich das gezahlte Schmerzensgeld auf 115.000 Euro. Die Verteidigung hatte auf eine Freiheitsstrafe zwischen dreieinhalb und vier Jahren plädiert. Nebenklage-Vertreterin Lüth konnte sich dagegen eine höhere Strafe als die von der Staatsanwaltschaft geforderten viereinhalb Jahre Gefängnis vorstellen. Dem folgte das Gericht letztlich.
Der Angeklagte selbst will während seiner Haftzeit eine Therapie machen. „Nichts kann das Geschehene rückgängig machen, auch wenn das mein sehnlichster Wunsch wäre“, hatte er in seinem Schlusswort in der vergangenen Woche gesagt. „Mit der Verhaftung und der U-Haft bin ich am tiefsten Punkt meines Lebens angekommen. Ich empfinde tiefe Reue und schäme mich für meine Taten.“




