Braune Kinderzimmer: So haben wir recherchiert

Reporter von stern und RTL deckten einen mutmaßlichen Anschlagsplan der extremistischen Jugend-Nazigruppe „Letzte Verteidigungswelle“ auf. Wie es dazu kam.
Die Recherche begann im Herbst 2024 mit der Frage, welche rechtsextremen Inhalte Kinder und Jugendliche auf ihrem Handy zu sehen bekommen. Auf Plattformen wie Tiktok, Snapchat und Instagram, auf denen die AfD und viele rechte Gruppierungen sehr aktiv sind. Wie sich schnell herausstellte: eine Menge. Plätzchen in Hakenkreuz-Form. Witze über vergaste Juden. Hitlergrüße. Bald bekam ein Reporterteam von stern und RTL, getarnt, Einladungen in geschlossene Chatgruppen. Viele, die dort schrieben und Videos von sich posteten, waren Jungen und Mädchen im Teenageralter, manche vielleicht 12 oder 13.
Die Reporter wollten herausfinden: Ist das pubertäres Gehabe – oder meinen die Jugendlichen, was sie sagen? Und wenn: Wie weit sind sie bereit dafür zu gehen? Drei Monate später hatte das Team Zugang zu den geschlossenen Chats mehrerer Gruppierungen. Und hatte eine verdeckte Reporterin in zwei rechte Gruppen eingeschleust, getarnt als Kameradin. Sie erlebte unter anderem mit, wie ein Mann von 21 Jahren mit mindestens einem Kameraden aus einer Gruppe namens „Letzte Verteidigungswelle“ mutmaßlich einen Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft plante. Und auch, wie er in Tschechien zwei Kugelbomben mit großer Sprengkraft kaufte.
Zudem stieß das Team auf Videos und Chats, die mutmaßlich eine schwere Brandstiftung und eine versuchte schwere Brandstiftung zeigen. Im Laufe der Recherchen ergaben sich konkrete Hinweise darauf, dass Mitglieder der Chatgruppe LVW, kurz für „Letzte Verteidigungswelle“, an den auf den Videos dokumentierten Taten beteiligt waren. Ein Wissen, das die Sicherheitsbehörden bis zu den Anfragen des Reporterteams offenbar nicht hatten.
Braune Kinderzimmer: Bundesweite Aufregung über Anschlagsplan
Der heikelste Punkt der Recherchen war der Kauf der Kugelbomben in Tschechien. Journalisten arbeiten normalerweise nicht mit der Polizei oder Staatsanwaltschaften zusammen; das ist grundsätzlich nicht ihre Aufgabe. Aber wenn es um die Vorbereitung einer Straftat geht, wird die Sache komplizierter. Wo Journalisten von einer möglichen Gefahr für Dritte oder von konkreten Gefahren – wie einem Anschlag – wissen, endet ihre Rolle als reine Beobachter der Realität. Sie sind dann verpflichtet, ihre Informationen zu bestimmten Straftatbeständen frühzeitig an die Strafermittlungsbehörden weiterzugeben. Wie jeder Bürger. Sonst machen sie sich womöglich strafbar.
Genau das ist in dieser Recherche passiert. Ein Hinweis des Reporterteams führte zu einer Razzia bei einem 21 Jahre alten Mann aus Sachsen, im Text Justin Schmidt genannt. Wenig später wurden sein Fall und der Anschlagsplan bundesweit bekannt.