Weltkunstschau: Auf dem Weg zu documenta 16: Wie steht es um die Kunstschau?

Nach der skandalösen letzten documenta soll Naomi Beckwith die Weltkunstschau wieder in ruhigere Fahrwasser bringen. Wer ist die Kuratorin? Und was hat die documenta aus der Vergangenheit gelernt?
Noch sind es über zwei Jahre bis zur documenta 16. Doch bereits jetzt hat sich die neue Kuratorin Naomi Beckwith der Öffentlichkeit präsentiert und über ihre Arbeit und Haltung gesprochen. Das gab es vorher noch nie – und ist auch ein Resultat aus dem zurückliegenden Antisemitismus-Skandal.
Wer ist Naomi Beckwith?
Beckwith wurde in Chicago geboren, was sie selbst als großes Glück bezeichnet. Dort sei ihre Familie Teil der großen schwarzen Community gewesen. Die Stadt sei geprägt gewesen von der multikulturellen Gesellschaft und der interdisziplinären Kunstszene. Beckwith ist Direktorin und Chefkuratorin des New Yorker Guggenheim Museum – zuvor arbeitete sie am Museum of Contemporary Art in Chicago und am Studio Museum in Harlem.
„Naomi Beckwith beeindruckt: mit ihrer Vita, ihrer intellektuellen Schärfe, ihrer Klarheit in der Übernahme kuratorischer Verantwortung“, erklärte Hessens Kulturminister Timon Gremmels (SPD).
Wird unter ihrer Leitung die documenta in ruhigere Fahrwasser gelangen?
Davon ist wohl auszugehen. Durch ihre Arbeit an einigen der wichtigsten Museen für Gegenwartskunst in den USA hat Beckwith viel Erfahrung gesammelt. Und dass eine Einzelperson und kein Kollektiv die Leitung übernimmt, kann auch für Ruhe und Stabilität sorgen. Beckwith betonte bereits bei ihrer Vorstellung Ende 2024, sie habe keine Toleranz gegenüber jeglicher Form von Rassismus und Antisemitismus. Und auch jetzt unterstrich die 49-Jährige, sie sei offen für Debatten und Diskussionen, „aber ich werde keine physische, verbale oder symbolische Gewalt gegen andere dulden“.
Warum war die letzte documenta im Jahr 2022 so umstritten?
Die documenta fifteen, kuratiert vom indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa, wurde von massiven internationalen Antisemitismus-Diskussionen überschattet. Bereits im Vorfeld waren Stimmen laut geworden, die Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS vorwarfen. Kurz nach der Eröffnung wurde eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgehängt. Später lösten weitere Werke scharfe Kritik und Forderungen nach Abbruch der Ausstellung aus.
Was hat die documenta aus dem Eklat gelernt?
„Wir kommen aus einem tiefen Tal (…) aber wir haben uns aus dem Tal herausgearbeitet“, so drückte es Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller aus. Es habe Veränderungen gegeben und man habe viel dazugelernt. Konkret hatte eine Managementberatung die Vorfälle aufgearbeitet und Empfehlungen vorgelegt. Für die Mitarbeiter der documenta-Gesellschaft – also unter anderem die Geschäftsführung – gilt fortan ein Verhaltenskodex. Anders als von der Beratung empfohlen, gilt dieser indes nicht für die künstlerische Leitung.
„Mit diesem Weg erkennen wir die Verantwortung in der Kunstvermittlung an. Gleichzeitig gewähren wir die Kunstfreiheit, die für unsere freiheitliche Gesellschaft so wichtig ist“, erklärte Minister Gremmels. Laut der Reform sollte Beckwith hingegen frühzeitig ihr künstlerisches Konzept vorstellen und darlegen, „wie sie die Achtung der Menschenwürde“ unter Wahrung der Kunstfreiheit gewährleisten wolle. Genau das fand nun in Kassel statt.
Was sind die Erwartungen – an Beckwith und an die documenta 16?
„Die documenta 16 wird herausragend“, sagte OB Schoeller, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der documenta ist. Beckwith verfüge über eine „ausgezeichnete Expertise und ist mit allen verschlungenen Pfaden der zeitgenössischen Kunst bestens vertraut“. Sie sei umsichtig und erfahren. „Und das Wichtigste: Sie schafft Vertrauen.“
Schon nach ihrer Ernennung fielen die Reaktionen positiv aus. Beckwith gilt auch als Vermittlerin zwischen Kunst und Gesellschaft.
Ihr Ansatz, Kunst als Raum für Dialog und Reflexion zu begreifen, unterstreiche die Bedeutung der documenta als Spiegel für die drängenden Fragen unserer Zeit, sagte Schoeller. Und documenta-Geschäftsführer Andreas Hoffmann betonte: In Zeiten multipler Krisen sei die Kunst „ein wertvolles Feld des Experiments, der Utopie und der Reflexion“.
Gab es denn umfassende Details zum künstlerischen Konzept?
Nein, das wurde auch noch nicht erwartet. Schließlich wurde Beckwith erst kürzlich ernannt. Sie bezeichnete ihre Aufgabe als „eine der aufregendsten Herausforderungen“. Beckwith, die während ihrer Rede am Dienstag immer wieder Kunstwerke an die Wand projizierte, hob etwa den interdisziplinären Ansatz von Kunst hervor. Und sie kam auf ihre Arbeit am Guggenheim zu sprechen. Sie sei stolz auf die dort entwickelten Prinzipien gegen Gewalt.
Sicher kann man auf der documenta 16 auch wieder einen breiten transkulturellen Austausch erwarten. Beckwith erklärte, sie sei sowohl vom globalen Süden, als auch vom globalen Norden geprägt: „Ich habe beide utopischen Visionen geerbt.“ Sie ging auch auf die aktuellen Krisen ein und betonte zudem das Gemeinschaftliche: Die Zusammenarbeit mit Künstlern werde geprägt sein von tiefem gegenseitigen Respekt und einer Haltung des Teilens. Und: „Unsere unterschiedlichen Identitäten betrachten wir als eine Stärke und nicht als Grund für Spaltung.“ Doch natürlich hätten Kunstschaffende auch eigene Meinungen und Standpunkte.
Wann geht es konkret los?
Die 16. Ausgabe der documenta, die neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst gilt, findet vom 12. Juni bis 19. September 2027 statt. Beckwith will diesen Sommer nach Kassel ziehen. Sie liebe Partys und freue sich, die Menschen hier kennenzulernen. Und: Sie suche eine Wohnung, wer Tipps habe, könne sich gerne bei ihr melden.