„Zucker und Zeste“: Barchefin Aurora Almenar: „In Berlin zahlt keiner 20 Euro für einen Cocktail“

Aurora Almenar machte das Paradiso in Barcelona 2022 zur besten Bar der Welt. Jetzt mixt sie über den Dächern Berlins. Ein Gespräch über Cocktails und die Frage, was Luxus ist.
Die Bar Clara am Oranienburger Tor schwebt wie ein gläsernes Ufo über Berlin. Aurora Almenar, 39 Jahre, serviert einen Cocktail, der aussieht wie ein Spiegelei. „Sie müssen das Eigelb zerbrechen“, sagt sie. Es ist Teil ihrer neuen Karte, inspiriert von der „Toiletpaper“-Magazin-Ausstellung wenige Etagen unter ihrer Bar.
Ein Cocktail als Spiegelei – ist das nicht etwas übertrieben?
Ich weiß, das klingt verrückt. Aber wenn Sie den Safran-Mango-„Dotter“ aufbrechen und der Sherry und Rum hochschäumen, beginnt für mich echte Barkultur. Denn Handlung schafft Erinnerungen. Wenn die Sphäre knackt, entsteht ein Moment, der über den Drink hinausgeht – genau dieses kleine Stück Interaktion macht aus Genuss eine Geschichte
Sie sind in einfachen Verhältnissen in Caracas aufgewachsen, heute mixen Sie Cocktails, die 15 Euro pro Stück kosten. Wie kam das?
In Venezuela habe ich Werbung studiert und fürs Fernsehen gearbeitet. Dann kam die Krise, 2010 ging ich nach Barcelona. Ein Freund bot mir einen Job in seiner Bar an. Dabei kannte ich lediglich zwei Whiskysorten. Plötzlich stand ich vor einem Regal mit hunderten Flaschen. Es war, wie eine neue Sprache lernen.
Und die haben Sie offenbar schnell gelernt. Sechs Jahre später waren Sie Laborchefin im Paradiso, von Experten aus der Branche zur besten Bar der Welt gekürt.
14 Jahre dauert meine Reise jetzt. Ich war Kellnerin, Barkeeperin, dann Laborchefin im Paradiso. 2019 wurde ich Managerin des Paradiso Lab, leitete 40 Leute, alle verrückt nach Details. Wir haben ein Zero-Waste-Programm entwickelt, Plastik zu Bartools recycelt. 2022 wurde unser Engagement mit dem ersten Platz der World’s 50 Best Bars gekrönt.
Warum verlässt man die beste Bar der Welt?
Ich brauchte etwas Neues. Berlin reizte mich. Diese Stadt ist … anders.
Inwiefern?
In Barcelona diskutieren die Leute über einen Drink. Sie lassen sich auf deine Ideen ein. Hier sagen sie: „Danke für die Erklärungen, aber ich hätte gern einen Whiskey Sour.“ Punkt. Diese Berliner Direktheit war am Anfang ziemlich hart.
Haben Sie kapituliert?
Nein! Ich gebe ihnen ihren Whiskey Sour – aber er ist durchsichtig, haha. Wir machen auch einen Gin Basil Smash, der komplett durchsichtig ist. Die Gäste sagen erst: „Bitte was, das ist mein Drink?“ Dann probieren sie und sagen: „Der beste Gin Basil Smash meines Lebens!“ Ein Cocktail als Spiegelei? „Aber wenn Sie den Safran-Mango-„Dotter“ aufbrechen und der Sherry und Rum hochschäumen, beginnt für mich echte Barkultur“, sagt Aurora Almenar
© Clara Bar
Wie macht man einen durchsichtigen Basil Smash?
Eine Infusion vom Gin mit Basilikum. Dann klarer Basilikum-Sirup, Säurelösung, obendrauf Basilikum-Öl. Sieht aus wie Wasser, schmeckt aber wie der Garten meiner Großmutter.
Nun stehen Sie hinter dem Tresen der Bar Clara in Berlin. Los ging es mit 18-Euro-Cocktails, im neuen Menü wurden die Preise auf 14 oder 15 Euro gesenkt. Was ist passiert?
Berlin ist nicht London. Nicht mal München. Die New Yorker, die das Konzept entwickelt haben, wollten ihre Vision hierherbringen. Das hat jedoch nicht funktioniert. Berliner zahlen keine 20 Euro für einen Cocktail. Also haben wir die Preise gesenkt und mehr mit lokalen Produkten experimentiert. Man muss nicht alles aus der halben Welt einfliegen.
Aber 15 Euro sind immer noch viel in einer Stadt, die mit „arm aber sexy“ kokettiert.
Das bringt einen schnell zur Frage, was eigentlich Luxus ist. Früher dachten alle, dabei gehe es um teure Produkte, um einen Zugang nur für Reiche. Für mich bedeutet Luxus etwas völlig anderes: Erfahrung. Es geht darum, wie man sich dabei fühlt.
Ist Ihre Bar Luxus?
Wir benutzen Top-Produkte, unser Service ist exzellent. Aber wir wollen für alle da sein. Ich möchte nicht, dass jemand pleitegeht, nur um meine Bar zu erleben. Das war in Barcelona auch nicht nötig – das Paradiso hatte Drinks für zwölf Euro auf der Karte, und wir waren die Nummer eins der Welt.
Was vermissen Sie aus Barcelona?
Die Gastronomie. In Barcelona kannst du überall gut essen, an jeder Ecke. Hier? Entweder Döner oder du bezahlst ein halbes Vermögen. Ich vermisse diese starke Food-Kultur. Deshalb bringe ich lateinamerikanische Aromen mit, spanische Produkte. Die Berliner sollen neue Geschmäcker kennenlernen.
Ihr neues Menü orientiert sich am „Toiletpaper“-Magazin, das bekannt ist für Fotografien, wo man nicht weiß, ob man lachen oder verstört sein soll. Was erwartet die Gäste?
Ich will sie in genau jene schräge Bildwelt hineinziehen: Schönheit entgleist, Farben schreien, Realität wackelt. Jeder Drink ist deshalb wie ein einzelner Frame aus diesem verrückten Film – ein bisschen daneben, aber absolut unvergesslich.
Im neuen Cocktail „Melondrama“ mixen Sie Mezcal mit Ziegenkäse und Wassermelone. Hand aufs Herz: Wer trinkt so etwas?
Alle, die Kontraste lieben. Der rauchige Complice Mezcal küsst salzigen Käse, Mirin und Sumach ziehen die Süße der Melone ins Herz des Drinks. Das Ergebnis ist salzig, emotional und erstaunlich trinkbar.
Beim „Noodle Colada“ werden Fruchtreste zu essbaren Nudeln recycelt. Wie politisch ist dieser Zero-Waste-Gedanke?
Sehr. Wir zeigen, dass Nachhaltigkeit nicht nach Verzicht schmecken muss: Das, was andere wegwerfen, wird bei uns zur spielerischen Garnitur und gibt dem Drink seinen Story-Twist.
Sie sagen, Sie wollen Erinnerungen kreieren. Das klingt ehrlich gesagt etwas esoterisch.
Ich weiß! Ich erkläre es anhand meines Drinks „Yellow Brick Road“. Das ist meine Kindheitserinnerung an Baklava. Immer, wenn wir ans Meer gefahren sind, haben wir bei diesem türkischen Laden angehalten. Diese klebrige Süße, die Nüsse … Ich repliziere das: Fat-Wash vom Rum mit Butter, Walnüssen, Pistazien, Nelken. Dazu Safran-Honig. Wenn Sie das trinken, erzeuge ich eine neue Erinnerung in Ihnen.
Welche Erinnerung aus Caracas taucht in Ihren Drinks auf?
Mango! Ich habe zwei neue Drinks mit Mango im neuen Menü. Ich möchte damit meine Wurzeln zeigen.
Sie bekommen eine carte blanche, einen Drink für David Bowie in seiner Berliner Phase zu kreieren. Was würden Sie ihm zubereiten?
Oh, das ist schwer! Gin natürlich, für seine britische Seite. Etwas mit Glitzer, weil er ein Superstar war. Aber ehrlich? Um einen guten Cocktail zu kreieren, muss man die Person verstehen. Nicht nur das Image. Ich müsste recherchieren, was er hier in Berlin getrunken hat.
Was hat Sie an Berlin am meisten überrascht?
Wie schwer es ist, eine Community aufzubauen. In Barcelona kennt jeder jeden. Hier kommen die Leute, trinken, gehen. Meine Stammgäste lieben unsere Ideen, aber es hat ein Jahr gedauert, bis sie uns vertraut haben.
Bereuen Sie den Wechsel manchmal?
Nein. Berlin fordert mich heraus. Diese Stadt zwingt dich, neu zu denken. In Barcelona wäre ich in meiner Komfortzone geblieben. Hier muss ich kämpfen. Das macht mich besser.
Mit welchen drei Flaschen kann man Ihrer Meinung nach 80 Prozent Ihrer Lieblingsdrinks zu Hause mixen?
Unverzichtbar ist eine Flasche Campari, außerdem ein hochwertiger roter Vermouth und eine Flasche Sherry. Oh, ich liebe Sherry! Damit würde ich einen Low-ABV-Negroni mixen, also mit etwas geringerem Alkoholgehalt! Ich nehme einen Teil Antica Formula oder Mancino als Vermouth, dazu Fino Sherry von Lustau statt Gin und einen Teil Campari dazu. Auf Eis rühren und fertig ist der Cocktail.
Zum Schluss: Was macht einen perfekten Drink aus?
Weniger ist mehr. Ich hasse überladene Gläser. Ein guter Cocktail braucht Balance, eine Geschichte – und jemanden, der sie versteht. Auch wenn er am Ende doch nur seinen Whiskey Sour will.