Klagewelle gegen Regierung: Nach Aufnahmestopp: Afghanen wollen versprochene Visa jetzt einklagen

2400 Menschen aus Afghanistan sitzen trotz Zusagen der Bundesregierung in Pakistan fest. Ihnen droht dort die Abschiebung. Sie ziehen jetzt in Deutschland vor Gericht.
In einem Safe House irgendwo in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad wartet Herr Hosseini* (*Name geändert) seit Monaten auf seine Ausreise. 200 Kilometer sind es von hier aus bis zur Grenze seines Heimatlandes: Afghanistan. Ein Mehrbettzimmer, ein kleines Taschengeld, mehr bleibt ihm nicht seit der Flucht nach Pakistan. Die Ersparnisse sind längst alle.
Die Taliban haben ihn und seine Familie mit dem Tod bedroht. Als schwuler Mann war er besonders gefährdet. So kann man es jedenfalls einer Klageschrift entnehmen, die der Anwalt des Afghanen an diesem Freitag am Verwaltungsgericht Berlin einreicht. Sie liegt dem stern vor. Ihr Ziel ist ein erfolgreicher Eilantrag für ein Visum für ihn.
25 Klagen gegen Aufnahmestopp aus Afghanistan
Herr Hosseini gehört zu rund 2400 Afghanen mit einer gültigen Aufnahmezusage aus Deutschland. Trotzdem sitzen sie seit Monaten in Pakistan fest. Die neue Bundesregierung hatte alle Aufnahmeprogramme von dort sofort nach der Amtsübernahme im Mai gestoppt. Nun droht den Afghanen eine Abschiebung zurück in das Land, aus dem sie geflohen sind. Zehntausende Afghanen hat die pakistanische Regierung seit Jahresbeginn schon ausgewiesen. Ab Ende Juni will man offenbar auch jene Menschen mit gültigen Aufnahmezusagen anderer Länder loswerden. Auch Hosseini droht dann die Abschiebung.
Eine Gruppe von Anwälten will ab diesem Freitag in insgesamt 25 Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin für eine Einreise zumindest einiger der Menschen sorgen. Sie alle haben Prüfverfahren der deutschen Sicherheitsbehörden durchlaufen, hatten Zusagen für die Aufnahme in Deutschland – und haben deshalb ihre Heimat in Richtung Pakistan verlassen.
Herr Hosseini etwa war Teil des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan für Menschen, die unter der Herrschaft der Taliban besonders gefährdet sind. Ihm wurde laut seiner Anwälte schon im Februar 2024 ein Aufnahmebescheid durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erteilt. Auch ein Sicherheitsinterview mit der Bundespolizei habe stattgefunden, ein Visum sei ausgestellt worden. Selbst auf einer Passagierliste für einen Flug nach Deutschland stand Noorzai bereits. Dann wurde alles gestoppt.
Über den Mann heißt es in der Klageschrift: „Dieser ist auch ausgehend von der Aufnahmezusage anerkannt von der Beklagten als besonders gefährdet in Afghanistan klassifiziert. Eine drohende Abschiebung nach Afghanistan wäre unzumutbar und so gut wie irreversibel.“ Eine „schnelle gerichtliche Intervention“ sei deshalb erforderlich.
Sein Anwalt Matthias Lehnert sagte dem stern: „Die Aufnahme dieser Menschen ist keine humanitäre Wohltat. Die Einreise wurde ihnen zugesichert.“ Dieser Verantwortung müsse Deutschland gerecht werden.
Außen- und Innenministerium ringen um gemeinsame Haltung
Anfang Juni gab es aus Sicht der Wartenden einen Hoffnungsschimmer. Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) wurde im Bundestag gefragt, wann die Menschen mit Aufnahmezusage aus Pakistan nach Deutschland kommen könnten. Der CDU-Politiker antwortete damals, er könne zwar „kein konkretes Datum nennen“. „Aber wo wir Aufnahmezusagen in rechtlich verbindlicher Form gegeben haben, halten wir die selbstverständlich ein.“ Doch seitdem ist wenig passiert.
Bundesinnenministerium und Bundesaußenministerium prüfen derzeit, wie sie nach der Aussetzung der Aufnahmeprogramme mit den Menschen aus Afghanistan umgehen. Die Zusagen an die Menschen gelten als verbindlich. Auf eine Anfrage des stern hieß es aber: „Bis zum Abschluss dieser Prüfung sind die Einreisen weiterhin ausgesetzt.“ Die Menschen stecken fest.
Dabei bestätigte selbst Bundesinnenministerium, dass rund die Hälfte der 2400 Afghanen sämtliche Sicherheitsüberprüfungen bereits durchlaufen hat. Bei der anderen Hälfte fehlen offenbar einzelne Schritte. Inzwischen hat das Ministerium aber auch die Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aus Islamabad abgezogen, die für die Prüfungen zuständig waren. Offizielle Begründung war der Konflikt zwischen Indien und Pakistan, der aber inzwischen ruht.
In der SPD regt sich Widerstand gegen das Nichtstun
In Regierungskreisen wird bei Fragen nach der Möglichkeit von schnellen Charter-Flügen abgewunken. Die Bilder würden schließlich all den asylpolitischen Signalen der ersten Wochen widersprechen: dem Ende aller Aufnahmeprogramme, den Zurückweisungen an den Grenzen, den Rechtsverschärfungen. Auch deshalb ist das Thema für die Bundesregierung so heikel: Die alten Zusagen stehen gegen die neuen politischen Absichten.
In der SPD regt sich nun Widerstand gegen das Nichtstun. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir ist in seiner Fraktion für die Themen Migration und Asyl zuständig. Demir fordert die sofortige Einreise der Menschen mit Aufnahmezusagen. „Die Aufnahmeprogramme für Afghanistan werden eingestellt“, sagte Demir dem stern. Das sei mit dem Koalitionspartner vereinbart. „Aber bei allen Personen mit bestehenden Aufnahmezusagen steht Deutschland im Wort. Sie müssen kommen dürfen. Sofort. Nicht erst, nachdem sie sich ihr Recht eingeklagt haben.“
Schon bald könnte die Bundesregierung juristisch dazu gezwungen werden, wenigstens bei Herrn Hosseini und weiteren Klagenden. Bereits Mitte Mai hatte eine erste Afghanin mit ihrer Familie am Berliner Verwaltungsgericht eine Klage auf die Aushändigung eines Visums gestellt. Eine Entscheidung der Richter wird in Kürze erwartet, heißt es von ihren Anwälten.
Nach all den an diesem Tag eingereichten Klagen dürften weitere Beschlüsse zeitnah folgen. Ob sie für Herrn Hosseini noch rechtzeitig kommen? Das kann niemand sagen.