Fußball-EM: U21-Titeltraum lebt – Nach „Mörderleistung“ gegen Frankreich

„Mausetot“, aber überglücklich. Die U21 steht im EM-Halbfinale gegen Frankreich. Der Bundestrainer hat sich fürs Endspiel angekündigt. Ein Wackelkandidat wird beim Italien-Thriller zum Matchwinner.
Rudi Völler nahm U21-Nationaltrainer Antonio Di Salvo in den Arm und klopfte ihm nach dem Viertelfinal-Wahnsinn anerkennend auf die Brust. Das nervenaufreibende 3:2 nach Verlängerung gegen Italien vergrößert vor dem Halbfinale gegen Frankreich die Hoffnungen auf den vierten Titel einer deutschen U21 weiter. „Die Lust ist riesig, ist doch klar“, sagte Di Salvo nach einem EM-Abend mit großen Emotionen.
Nach „Mörderleistung“ gegen Frankreich
„Wir sind jetzt schon im Halbfinale und wenn wir jetzt nicht daran denken würden, ins Finale kommen zu wollen und, wenn man dann dort wäre, auch nach dem Titel zu greifen, das wäre schon komisch“, sagte Di Salvo. Für seine Auswahl stand am Montag der Flug von Bratislava aus in den Halbfinal-Ort Kosice im Osten der Slowakei an.
Dort sind die Jungfußballer der Grande Nation um den früheren Bayern-Star Mathys Tel am Mittwoch (21.00 Uhr/Sat.1) der nächste Topgegner, den das Team nach dem von Torgarant Nick Woltemade als „Mörderleistung“ deklariertem Auftritt auf dem Weg ins Endspiel besiegen will. Und danach soll es zurück in die Hauptstadt gehen, wo am Samstag das Finale gegen die in der Gruppenphase mit 2:1 bezwungenen Engländer oder die Niederlande anstehen würde.
Wann kommt Nagelsmann?
„Ich hoffe, dass wir den Drive und diese Emotion mitnehmen“, sagte der unermüdlich ackernde Mönchengladbacher Rocco Reitz. Dass Bundestrainer Julian Nagelsmann beim Hin- und Her-Spiel gegen die Azzurrini anders als sein italienisches Pendant Gennaro Gattuso nicht auf der Ehrentribüne saß, störte Reitz und Mitspieler nicht. „Dass er hier sein muss, ist, glaube ich, nicht seine Pflicht“, sagte der Gladbacher, „aber wenn er mal vorbeischaut, wird uns das natürlich freuen.“ Dafür muss noch ein Sieg her.
Völler berichtete, dass Nagelsmann alle Spiele aus der Ferne verfolge und die Daumen drücke. Bei einem Final-Einzug der deutschen Mannschaft käme es dann zu dem vom Sportdirektor angekündigten Besuch des Bundestrainers bei der Fußball-Europameisterschaft in der Slowakei, wo Nagelsmann auch Kandidaten für seine WM 2026 anschauen kann. Woltemade wurde unlängst zum A-Nationalspieler befördert. Brajan Gruda und Reitz schnupperten schonmal rein.
Vierter Titel soll her
Lange plauderte Sportdirektor Völler im fast leeren Stadion in Dunajska Streda mit U21-Nationalcoach Di Salvo. Dieser ist nach dem Vorrunden-Aus von 2023 nun dabei, eine vielleicht märchenhafte U21-Story zu schreiben. Der vierte Titel nach 2009, 2017 und 2021 soll her, zweimal war Di Salvo als Co-Trainer dabei. „Rudi hat gratuliert“, berichtete Di Salvo über die Plauderei nach dem Spiel. Danach fiel die Analyse des Weltmeisters von 1990 ähnlich wie die von Di Salvo aus, für den das Match wegen seiner italienischen Wurzeln besonders emotional war.
Di Salvo rechtfertigt das in ihn gesetzte Vertrauen einmal mehr. Sein Vertrag war bereits im März bis nach der Endrunde 2027 verlängert worden. Die Arbeit mit der U21 wird vom Verband hochgeschätzt ebenso wie das Miteinander mit dem A-Team. „Ich bin mit Julian ständig in Kontakt“, sagte Di Salvo in der Nacht zum Montag. Nagelsmann habe das spannende Spiel bestimmt im Fernsehen angeschaut.
Wackelkandidat Röhl wird zum Matchwinner
Im Schnitt 4,3 Millionen Menschen sahen die zweite Hälfte des K.o.-Krimis bei Sat.1. Es war ein packendes Spiel, in dem die deutsche Auswahl mit einer 2:1-Führung und nach zwei italienischen Platzverweisen in klarer Überzahl praktisch schon weiter war. Bis sich Italien mit einem Traum-Freistoß in der sechsten Minute der Nachspielzeit in die Verlängerung rettete.
Dort schlüpfte dann der Freiburger Joker Merlin Röhl mit dem Siegtreffer in die Rolle des Tor-Helden. „Ich bin dankbar, dass ich immer noch hier bin, dass niemand nachnominiert wurde, dass ich heute einen Impact hatte. Und dass der Fuß gehalten hat“, sagte Röhl zu seinem fulminanten Rechtsschuss in der 117. Minute. „Viele Emotionen“ seien in dem Moment, der die Lotterie Elfmeterschießen verhindert hatte, dabei gewesen. Röhl hatte sich kurz vor dem Turnierstart am Sprunggelenk verletzt.
Und wieder trifft Woltemade
Der Freiburger sorgte dafür, dass der Ärger bei Woltemade über das späte 2:2 am Ende doch verflogen war. Abgekämpft schritt der Neu-Nationalspieler auf die Tribüne, wurde von der Mama geherzt und vom Vater abgeklatscht. Der 23-Jährige erzielte beim 1:1-Ausgleich sein fünftes Turniertor, bereitete das 2:1 des wie Röhl eingewechselten Mainzers Nelson Weiper wunderbar vor. „Das hat heute mal wieder den Teamgeist gestärkt“, sagte der Pokalsieger.
Sauna, Eistonne und Pizza
Woltemade wollte „direkt ins Bett“, Reitz freute sich auf „Eistonne und Pizza“ und für Weiper hieß es „Sauna, essen, schlafen“. Ganz im Sinne von Di Salvo, der das Team um den zum Spieler des Spiels gekürten Verteidiger Bright Arrey-Mbi nach dem Schlusspfiff auf dem Rasen versammelte.
„Jetzt regenerieren, essen, schlafen“, rief der Coach seinen Spielern zu. „Der Trainer hat morgen frei – und der Rest auch.“ Kapitän Eric Martel und seine Mannschaft quittierten das mit Beifall und Jubel – zumindest so weit die Kraft beim nach eigenen Worten „mausetoten“ Martel noch reichte. „Egal, was uns passiert, wir können das abschütteln und immer einen draufsetzen“, sagte Martel.