Migration: Gefangen im Transit: Düsterer Alltag der Migranten in Tunis

Auf den langen Wegen afrikanischer Migranten ist Tunesien ein Knotenpunkt. Einige warten Monate auf einen Versuch, das Mittelmeer zu überqueren – unter Anfeindungen vor Ort und Schikanen der Behörden.
Der Schlauch hat Löcher und die Spritzdüse ist kaputt, aber Ahmed Barry versucht trotzdem, den Kleinwagen irgendwie zu waschen. Der 24-Jährige aus Guinea arbeitet seit ein paar Wochen in der Waschanlage im Westen von Tunis – die einzige, die in der Gegend im Zuge von Wasserknappheit noch geöffnet hat. Das Geschäft läuft schleppend und die Geräte sind alt.
„Die Lage ist schwierig, aber wir müssen arbeiten, um Essen zu kaufen und Miete zu zahlen“, sagt Barry, der Wasser aus seinem nassen T-Shirt zu wringen versucht. „Ich weiß nicht, wie lange wir bleiben werden oder was morgen sein wird. Aber ich hoffe, dass wir es eines Tages nach Europa schaffen.“ Neben Barry steht Ali Moriba, ebenfalls aus Guinea, und rührt Seifenwasser in einem alten Eimer.
Die beiden haben gerade von ihrem Chef erfahren, dass sie erst dann weiter Autos waschen sollen, wenn er die defekte Wasserpistole repariert hat. Gelingt ihm das nicht, werden sie vorzeitig nach Hause gehen und nur für einen halben Tag bezahlt – jeder erhält dann umgerechnet etwa 4,20 Euro. Ihre Zweizimmerwohnung teilen sie sich mit fünf anderen Migranten aus Westafrika.
Wunsch auf ein neues, besseres Leben in Europa
Für Zehntausende Migranten, die ihre Heimatländer südlich der Sahara wegen Gewalt und Armut verlassen, ist Tunesien ein Knotenpunkt. Jedes Jahr kommen neue dazu, und jedes Jahr besteht unter ihnen der Wunsch weiter, in Europa ein neues, besseres Leben zu beginnen.
Die meisten afrikanischen Migranten würden nicht lang bei ihm arbeiten, sagt der Betreiber der Waschanlage, ein Mann um die 50. „Entweder wandern sie aus oder sie werden festgenommen. Das Leben ist hart in Tunesien, und sie halten nicht lange durch.“
Noch härter ist das Leben geworden, seit Tunesien vor zwei Jahren mit der Europäischen Union ein Abkommen schloss, um Migrationsströme einzudämmen. Behörden gehen seitdem hart gegen den Zustrom von Migranten in tunesischen Städten vor, etwa in der Region Sfax am Mittelmeer. Viele entschlossen sich deshalb für ein Leben auf dem Land oder in ärmeren Gegenden, um den Sicherheitskräften zu entgehen.
Anfeindungen, Schikane, Zusammenstöße
Präsident Kais Saied, der das Land zunehmend autoritär regiert, heizte die Lage an. Er warf Migranten vor, „Gewalt, Verbrechen und inakzeptables Verhalten“ ins Land zu bringen. Die Betroffenen wurden immer häufiger angefeindet und schikaniert. Zwischen Migranten und Anwohnern kam es zu Zusammenstößen. Einige endeten tödlich.
Auch die provisorischen Lager gerieten ins Visier der Behörden. Das größte von ihnen in Tunis, in deren Nähe auch Büros des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) liegen, wurde abgebaut und aufgelöst. Es soll Tausenden nicht registrierten Migranten als Schlaf- und Aufenthaltsort gedient haben. Im Raum Sfax wurden dieses Jahr weitere Lager aufgelöst.
Frauen betteln auf der Straße oder verkaufen Taschentücher
Mit solchen Maßnahmen wird der Alltag für die Betroffenen noch härter. Die Suche nach zumindest vorübergehenden Jobs und einer Unterkunft sind ein täglicher Kampf während der Monate oder sogar Jahre, die viele darauf warten, das Mittelmeer nach Europa zu überqueren. Viele Frauen haben keine andere Wahl, als auf der Straße betteln zu gehen oder etwa Taschentücher zu verkaufen.
Außerhalb von Tunis gehen die Behörden lockerer mit den Migranten um. Der Vorort Marsa etwa ist zu einem Zufluchtsort geworden. Karim sucht dort jeden Tag nach Plastikflaschen im Müll, um sie an der örtlichen Müllhalde zu verkaufen, von wo die Flaschen wiederum an Recyclinganlagen verkauft werden. Pro Kilogramm Plastik verdient er umgerechnet etwa 30 Cent.
„Es läuft nach Plan“, sagt der junge Mann aus Kamerun, der seinen echten Namen zum Schutz seiner eigenen Sicherheit nicht nennen will. „Ich versuche, Geld zu sparen, weil wir als Transit-Migranten hier sind. Ich habe einmal versucht, das Mittelmeer zu überqueren, aber die Küstenwache hat mich erwischt und mich weg von der Hauptstadt geschickt in die Wüste.“
Verstärkte Patrouillen der Küstenwache
Zwei Wochen später sei Karim nach Tunis zurückgekehrt, erzählt er. „Ich arbeite hier, jetzt muss ich Geld sparen und mein Glück noch einmal versuchen.“ Leicht wird es nicht, denn die Küstenwache hat ihre Patrouillen verstärkt und überwacht die Gewässer noch gründlicher – auch mit Hilfe europäischer Ausrüstung und mit noch härteren Strafen für Schleuser.
Das EU-Abkommen, in dessen Rahmen Tunesien auch mehr als 100 Millionen Euro für einen verstärkten Grenzschutz zugesagt wurden, scheint bereits Wirkung zu zeigen. Vergangenes Jahr nahm der Zustrom nach Italien aus Tunesien im Vergleich zum Vorjahr um fast 80 Prozent ab, wie aus offiziellen Zahlen aus Italien hervorgeht. Im ersten Viertel dieses Jahres setzte sich der Rückgang im selben Tempo fort.
Einige kommen zum Entschluss, nicht länger in Tunesien auf ihr Schicksal warten zu wollen. Sie kehren zurück. Ein Sprecher der Nationalgarde sagte der dpa, dass allein dieses Jahr bis Mai rund 3.500 irregulär eingereiste Migranten in ihre Heimatländer zurückgekehrt seien – freiwillig. Die kostenlosen Flüge dafür organisiert die IOM zweimal wöchentlich zusammen mit Tunesiens Behörden und Geberländern.
Einer derjenigen, die an Bord gehen, sitzt am Flughafen von Tunis und wartet, zusammen mit seiner Frau und einem Baby. Er wolle nach Guinea zurückkehren, sagt der Mann. Während seiner drei Jahre in Tunesien konnte er keinen Job finden.